Wie bei Impfstoffen: EU will gemeinsam Artilleriemunition kaufen

Von „Granatenhunger“ spricht der Chef der russischen Söldnertruppe „Wagner“, Jewgeni Prigoschin, wenn er dem Kreml vorwirft, seine Kämpfer nicht ausreichend mit Artilleriemunition zu versorgen. Ein Hunger, der auch auf der ukrainischen Seite grassiert: Zwischen 2.000 und 7.000 Stück Artilleriemunition verschießen die ukrainischen Streitkräfte pro Tag. Etwa 1.300 produzieren die USA (500) und die EU (bis zu 800) gemeinsam täglich – maximal.
Gleichzeitig leeren sich die Munitionsdepots vieler Staaten bedrohlich, Dänemark spendete etwa im Jänner seine gesamten 19 „Caesar“-Haubitzen. Genau deren Munition – 155-Millimeter-Granaten – droht auszugehen. Dem will die EU durch eine gemeinsame Beschaffungsinitiative entgegentreten, doch zuerst die Ukraine unterstützen: Eine rasche Lieferung der 155-mm-Munition im Wert von einer Milliarde Euro soll „so rasch wie möglich“ erfolgen, im Anschluss soll die Europäische Verteidigungsagentur EDA für die EU-Mitgliedsstaaten Munition beschaffen – ähnlich wie bei den Impfstoffanschaffungen während der Corona-Pandemie.
Fraglich ist nur, woher diese Munition kommen soll: Selbst die USA konnten einen guten Teil ihrer Lieferungen an die Ukraine nur stemmen, weil sie teuer aus Israel und Südkorea zukauften. Wahrscheinlicher ist, dass die EU die Produktionskapazitäten in Europa stärken will.
Ein entsprechender Beschluss könnte Ende März beim EU-Gipfel gefasst werden – am Mittwoch kamen die EU-Verteidigungsminister zu einem informellen Treffen in Stockholm zusammen.
„Es ist davon auszugehen, dass es bereits am Gipfel zu einer Einigung kommen wird“, sagte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) nach dem Treffen zum KURIER. Der genaue Munitionsbedarf der EU-Staaten müsse noch festgestellt werden. Fakt sei allerdings, „dass das Bundesheer von dieser gemeinsamen Beschaffung profitiert“, so Tanner. In Österreich wird der Bedarf im Zuge des „Aufbauplans 2032“ ermittelt.
Vor allem sei es um innereuropäische Produktion gegangen, nicht um Beschaffung aus Nicht-EU-Ländern: „Es ging darum, dass Europa wieder in die Lage versetzt wird, ausreichend Artilleriemunition zu produzieren“, sagte Tanner. „Es gibt in Europa mehr als ein Dutzend Hersteller – diese gilt es, an Bord zu holen. Wir sollten in diesem Punkt nicht über die Hersteller, sondern mit ihnen reden.“
Bis zu 60.000 Schuss
Vor Kriegsbeginn hatte Russland 17 Millionen Stück Artilleriemunition zur Verfügung. Davon verschießen die Streitkräfte derzeit täglich mindestens 20.000 Stück. Im Sommer waren es zeitweise 50.000 bis 60.000 – womit die russischen Streitkräfte innerhalb von zwei Tagen das Munitionsarsenal von Großbritannien leergeschossen hätten.
Insgesamt elf Millionen Stück an Artilleriemunition dürfte Russland bisher verbraucht haben. Laut dem Chef des estnischen Militärgeheimdienstes, Oberst Margo Grosberg, kann Russland – unter erheblichem Aufwand – täglich 9.000 Stück Artilleriemunition produzieren. Das kommt unter anderem daher, dass die russische Rüstungsindustrie größtenteils verstaatlicht ist. Die USA wollen ebenfalls ihre Produktion erhöhen, setzen sich zum Ziel, monatlich 40.000 Artilleriegranaten zu produzieren. Das wären etwa 1.300 pro Tag. Allerdings erst 2025.
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