Evakuierung ukrainischer Truppen aus Sjewjerodonezk nicht mehr möglich

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Nach den mehr als dreimonatigen Gefechten könnte die Einnahme der strategisch wichtigen Stadt eine Vorentscheidung im Ringen um die Donbass-Region bringen. Und Duda kritisiert Scholz und Macron.

Tag 106 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine: 

Im Osten der Ukraine setzen russische Truppen nach ukrainischen Angaben ihre Angriffe auf Wohn- und Industriegebiete in der schwer umkämpften Stadt Sjewjerodonezk fort. Durch den Beschuss der Chemiefabrik Azot seien vier Menschen getötet worden, schrieb der Gouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, am Donnerstag auf Telegram. Das Schicksal des Donbass im Osten der Ukraine entscheide sich nach den Worten von Präsident Wolodimir Selenskij mit dieser Schlacht.

Die Anlage wird nach ukrainischen Angaben von Hunderten Zivilisten als Luftschutzbunker genutzt. Eine vergleichbare Einkesselung durch russische Truppen wie bis vor kurzem in der Hafenstadt Mariupol drohe derzeit jedoch nicht. Von russischer und prorussischer Seite wird immer wieder der Vorwurf geäußert, die Ukrainer hätten die Zivilisten in die Azot-Keller gelockt und das Gelände dann vermint. Belege dafür gibt es nicht.

Mehr als 90 Prozent des Luhansker Gebiets, in dem Sjewjerodonezk liegt, ist von Russland bereits besetzt. Der russische Angriffskrieg auf das Nachbarland dauert inzwischen schon dreieinhalb Monate. Die Angaben der Kriegsparteien können oft nicht von unabhängiger Seite überprüft werden.

"Vielleicht der schwierigste Kampf in diesem ganzen Krieg"

"Das ist ein sehr brutaler Kampf, sehr hart, vielleicht der schwierigste in diesem ganzen Krieg", erklärte Selenskij zu den Kämpfen in Sjewjerodonezk in einer Videobotschaft. Hauptkriegsschauplatz in dem Gebiet bleibe Sjewjerodonezk. "Im wesentlichen ist es hier, wo über das Schicksal unseres Donbass entschieden wird."

Der ukrainische Generalstab teilte am Donnerstag mit, die russische Armee greife mit Artillerie und Mehrfachraketenwerfern an und ziele in Sjewjerodonezk und anderen Orten auf die zivile Infrastruktur. Russland weist Vorwürfe zurück, nichtmilitärische Ziele anzugreifen.

Ukrainische Soldaten wurden zuletzt an den Rand von Sjewjerodonezk zurückgedrängt, das durch russische Bombenangriffe bereits weitgehend zerstört ist. Die Ukraine kontrolliert nach eigenen Angaben weiterhin die durch einen Fluss getrennte Zwillingsstadt Lyssytschansk. Diese ist aber ebenfalls schweren Bombardements ausgesetzt.

Die beiden Städte befinden sich in der Region Luhansk, die zusammen mit der Region Donezk den Donbass bildet. Vor der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar kontrollierten pro-russische Separatisten rund ein Drittel des Donbass.

Auf dieses überwiegend russischsprachige Gebiet hat das russische Militär zuletzt den Fokus seines Angriffs verlagert, nachdem es in anderen Landesteilen einige empfindliche Rückschläge einstecken musst - etwa als es im März vor den Toren der Hauptstadt Kiew zurückgeschlagen wurde.

Deutscher Gesundheitsminister in der Ukraine

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach will am Donnerstag bei einem Besuch in der Ukraine deutsche Hilfe bei der Versorgung von Verletzten anbieten. Dies kündigte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk an. Dabei gehe einerseits um Behandlungen in Deutschland, aber auch um die Versorgung Verletzter in dem kriegsgeplagten Land selbst. Lauterbach nannte konkret Hilfen für Menschen mit schweren Verbrennungen sowie für Menschen, die im Krieg Gliedmaßen verloren haben.

Lauterbach hatte am Mittwochabend kurzfristig angekündigt, dass er auf Einladung der ukrainischen Regierung in die Ukraine reisen werde. Seit Kriegsbeginn waren dort auch schon Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Entwicklungsministerin Swenja Schulze (SPD) und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) zu Besuch. Der russische Angriffskrieg auf das Nachbarland dauert inzwischen schon mehr als drei Monate.

NATO-Chef Stoltenberg sagt Besuch in Berlin ab

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat seinen Besuch in Berlin kurzfristig abgesagt. Das teilte das deutsche Verteidigungsministerium am Donnerstag in Berlin mit. "Der NATO-Generalsekretär hat darüber informiert, dass sein Besuch in Berlin kurzfristig abgesagt wird", hieß es in einer Erklärung. Gründe wurden vorerst nicht genannt.

Ein NATO-Beamter erklärte auf Anfrage, bei Stoltenberg sei Gürtelrose diagnostiziert worden und er arbeite von zu Hause aus. Dies könne nach einer Corona-Erkrankung auftreten. Stoltenberg hatte kürzlich Corona. Die geplanten Besuche in Deutschland und Rumänien werde der Generalsekretär aus der Ferne und nicht persönlich vor Ort durchführen, sagte der NATO-Beamte.

Stoltenberg wollte in Berlin Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (beide SPD) treffen. Dabei sollte es unter anderem um die Vorbereitung des NATO-Gipfels vom 28. bis 30. Juni in Madrid gehen.

Polens Präsident kritisiert Scholz und Macron für Gespräche mit Putin

Polens Präsident Andrzej Duda kritisierte, dass der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron weiter mit Wladimir Putin Gespräche führen. "Diese Gespräche bringen gar nichts", kritisierte Duda in einem Bild-Interview, das am Mittwoch bei Youtube veröffentlicht wurde. Die Situation sei ähnlich wie mit Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg. "Und hat jemand während des Zweiten Weltkrieges auf diese Weise mit Adolf Hitler gesprochen?", fragte Duda. "Sagte jemand, dass er sein Gesicht bewahren muss? Dass man es so machen müsse, dass es nicht erniedrigend ist für Adolf Hitler?" Solche Stimmen kenne er nicht.

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