"Muss mir nichts vorwerfen": Merkel verteidigt Russland-Politik

"Muss mir nichts vorwerfen": Merkel verteidigt Russland-Politik
Die Altkanzlerin im ersten TV-Interview: "Ich muss mir nicht vorwerfen, ich hätte es nicht versucht."

„Es nicht gelungen, den Kalten Krieg zu beenden“, das ist das klare und bittere Resümee von Angela Merkel über den Krieg in der Ukraine und seine Ursachen. In ihrem ersten TV-Interview seit ihrem Abschied aus dem Kanzleramt stellte sich Merkel im Saal des Berliner Ensembles einem eingehenden Gespräch mit dem Spiegel-Journalisten Alexander Osang, der als einer der besten Kenner der Kanzlerin galt. Deutlich wurde Merkel vor allem, was die aktuelle Kritik an ihrer Russland-Politik betrifft: "Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen.“

Lange klar, "wie ernst die Lage ist"

Es sei  schon klar gewesen, dass die Lage ernst sei, erinnert sich Merkel an die Monate vor dem Kriegsausbruch, die sie ja noch vom Kanzleramt aus verfolgte. Sie habe ja  lange versucht, „Putin auch von europäischer Seite in einen Dialog zu bekommen.“ Den Krieg selbst nannte Merkel nicht nur einen Bruch des Völkerrechts, sondern auch "einen großen Fehler Putins".

Doch die Altkanzlerin ging in ihren Überlegungen zu Russland im Gespräch viel weiter zurück - in die Zeit, als sie Putin auf der internationalen Bühne kennenlernte. Er habe auch ihr gegenüber  den Zerfall der Sowjetunion als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. "Ich hab ihm gesagt, dass das für mich ein persönlicher Glücksmoment war".

Putins Feindschaft zum Westen

Schon damals sei ihr dieser „Dissens“ zwischen dem Westen und Russland klar geworden. Der Punkt Russland  sei immer ungelöst geblieben. Es sei nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu bauen, die das verhindert hätte. Putin sehe sich selbst als "Feind des westlichen demokratischen Modells. Schon damals habe sie ihre Amtskollegen gewarnt: "Er will die Europäische Union zerstören, weil er sie als Vorstufe zur NATO sieht."

Dass sie einst im Jahr 2008, den Beitritt der Ukraine zur NATO verhindert hatte, will Merkel auch heute nicht als Fehler betrachten. Sie wollte schon damals "Russland nicht weiter provozieren". Es sei ja rasch klar geworden, dass Putin die ehemaligen Sowjetrepubliken wie Georgien als russische Einflusssphäre betrachte: "Putin hätte schon damals einen Riesenschaden für die Ukraine anrichten können". Außerdem könne auch ein Land wie die Ukraine "nicht von heute auf morgen NATO-Mitglied werden." Die Ukraine sei außerdem ein "von Oligarchen beherrschtes Land gewesen". 

Für sie sei Putins Haltung und damit die Bedrohung für die Ukraine lange klar gewesen: „Ich habe ja gewusst, was er dachte, und dass er das genau so sieht.“ Sie selbst, gibt sich Merkel selbstsicher, müsse sich „nicht vorwerfen, dass ich es nicht versucht habe. Ich habe es glücklicherweise ausreichend versucht. Es ist eine große Trauer, dass es nicht gelungen ist.“ Blauäugig gegenüber Russland sei sie jedenfalls nie gewesen.

"Froh, dass nicht alles über meinen Tisch geht"

Die Altkanzlerin, die lange Urlaub an der Ostsee gemacht hat, erzählte launig, über die Tage nach dem Abgang, die sie "richtig gut hinbekommen" habe. Es sei ihr überraschenderweise nicht langweilig geworden. Das Schöne an der Ostsee, die ja ein bevorzugtes Urlaubsrevier Merkels ist, sei "dass die Leute an mich gewöhnt und sehr schweigsam" sind. Merkel ließ in dem Gespräch auch durchblicken, dass sie sehr wohl auch gegen ihr eigenes Pflichtgefühl ankämpfen musste.

Dass sie einen Urlaub in Italien trotz des Ukraine-Krieges angetreten habe, argumentiert Merkel bemerkenswert deutlich: "Ich musste ja einmal klar machen, dass ich nicht mehr die Kanzlerin bin". Im übrigen sei sie sehr froh, "dass nicht mehr alles in dieser Republik über meinen Tisch geht, so wie das 16 Jahre lang der Fall war". Noch müsse sie sich allerdings "meinen Weg als Altbundeskanzlerin" noch zurechtlegen. Auf jeden Fall, zeigt sich froh über die neue Reisefreiheit, "kann ich ja jetzt nicht für den Rest meines Lebens nur in die Uckermark (ihr Landhaus ist dort, Anm.) gehen."

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