Putin will Fabriksgelände in Mariupol nicht stürmen lassen
Tag 56 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:
Russlands Präsident Wladimir Putin sieht keinen Grund mehr, das Industriegebiet in Mariupol zu stürmen. Die entsprechenden Pläne würden nicht mehr umgesetzt, sagte Putin am Donnerstag. Die Anlage solle aber derartig blockiert werden, so dass es noch nicht mal mehr eine Fliege durchkäme, ohne entdeckt zu werden, erklärte Putin. Die Kontrolle über die Hafenstadt im Südosten der Ukraine erlangt zu haben, sei ein Erfolg.
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte zuvor der Nachrichtenagentur Interfax zufolge erklärt, Russland habe die ukrainische Hafenstadt Mariupol eingenommen. In dem Stahlwerk Asowstal befänden sich aber immer noch mehr als 2000 ukrainische Soldaten, informiert Schoigu den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Inmitten heftiger Kämpfe haben vier Busse mit Zivilisten die Mariupol verlassen können. Die Busse mit Frauen, Kindern und älteren Menschen an Bord hätten die seit knapp zwei Monaten belagerte Stadt am Mittwoch über "humanitäre Korridore" verlassen können, teilte die stellvertretende Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk am Donnerstag über die Online-Netzwerke mit. Nach ihren Angaben sollen die Evakuierungen über den Tag hinweg fortgesetzt werden.
In der Nacht auf Donnerstag ist aus der Ukraine erneut Beschuss gemeldet worden. In der Großstadt Charkiw hätten nach Explosionen mindestens zwei Hochhäuser im nordöstlichen Bezirk Saltivka und mehrere geparkte Autos Feuer gefangen, berichtete die ukrainische Internetzeitung Ukrajinska Prawda. Während Russland offenbar schon 80 Prozent der Region Luhansk kontrolliert, kündigte der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow für Donnerstag die Einnahme Mariupols an.
Zuvor hatte der ukrainische Sicherheitsrat mitgeteilt, dass die Großoffensive Russlands noch nicht begonnen habe. Die am Dienstag entlang der gesamten Frontlinie begonnenen Attacken dürften "Probeangriffe" sein, sagte der Generalsekretär des Rates, Olexij Danilow, in einem Radiointerview, wie die Internet-Zeitung Ukrajinska Prawda am Mittwochabend berichtete.
Beginn der Offensive eine Frage der Zeit
Wann die sogenannte große Offensive beginne, sei nur eine Frage der Zeit, sagte Danilow weiter. Moskau könne in den nächsten zwei bis vier Wochen immer noch neue Ressourcen und Reserven in großen Mengen aufbauen. Er warnte zudem davor, zu denken, dass die Kämpfe um den Donbass die letzte und entscheidende Schlacht in dem Krieg sein würden. "Ich wäre nicht so optimistisch, es können jede Menge verschiedene Dinge noch vor uns liegen."
Kiew erwartet seit mehreren Tagen den Beginn einer Großoffensive russischer Truppen, die sich nach dem Rückzug aus Gebieten rund um die Hauptstadt Kiew und im Nordosten des Landes Anfang April nun in den russischen Grenzregionen zur Ukraine oder im Osten der Ukraine neu aufstellen. Zuvor hatte bereits am Dienstag das US-Verteidigungsministerium erklärt, es sehe die jüngsten russischen Angriffe nur als Vorzeichen einer größeren Offensive Moskaus.
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Russland kontrolliert 80 Prozent der Region Luhansk
Acht Wochen nach Kriegsbeginn räumte die Ukraine indes den Verlust eines Großteils der östlichen Region Luhansk eingeräumt. Nach dem Abzug der ukrainischen Truppen aus der Kleinstadt Krimenna kontrollierten russische Einheiten nun 80 Prozent des Gebietes Luhansk, teilte Gouverneur Serhij Hajdaj am Mittwochabend auf Telegram mit.
Auch die Städte Rubischne und Popasna in Luhansk seien mittlerweile "teilweise" unter russischer Kontrolle. Um diese gibt es seit Wochen intensive Kämpfe. Der Beschuss habe auch hier zugenommen, schreibt Hajdaj weiter. Zu Beginn des Krieges am 24. Februar hatten die Separatisten der "Volksrepublik" Luhansk rund 30 Prozent der Region unter ihrer Kontrolle.
Kadyrow kündigt Einnahme Mariupols an
Im Ringen um die Hafenstadt Mariupol sagte der tschetschenische Machthaber Kadyrow die komplette Einnahme für Donnerstag voraus. "Noch vor oder nach dem Mittagessen wird Asowstal vollständig unter der Kontrolle der Streitkräfte der Russischen Föderation stehen", sagte er in einer Audiobotschaft mit Blick auf das Stahlwerk Asowstal, der letzten Bastion ukrainischer Einheiten in der weitgehend eroberten Stadt. Am Mittwoch waren Gespräche über eine Evakuierung der verbliebenen Kämpfer erneut gescheitert. Die Ukraine schlug vor, eine hochrangige Delegation nach Mariupol zu schicken, um an Ort und Stelle über die Evakuierung zu sprechen.
Selenskij über Partnerländer
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij äußerte sich indes etwas optimistischer, was seine eindringlichen Bitten um Lieferungen schwerer Waffen durch die Partnerländer betrifft. Er könne mit "vorsichtigem Optimismus" sagen, dass die Partner Kiews "sich unserer Bedürfnisse bewusster geworden sind", sagte er in seiner allabendlichen Videobotschaft in der Nacht zum Donnerstag. Sie verstünden nun, welche Waffen die Ukraine brauche und dass sie diese nicht erst in ein paar Wochen, sondern jetzt brauche - nun, da Russland versuche, seine Angriffe zu verstärken. Die Lage im Süden und Osten des Landes sei "so angespannt wie möglich", sagte er.
Massengräber in Borodjanka
Im Kiewer Vorort Borodjanka wurden nach ukrainischen Angaben zwei weitere Massengräber entdeckt. Darin hätten sich insgesamt neun Leichen von Zivilisten, Männer wie Frauen, befunden, teilte Andrij Nebitow von der Polizei der Region Kiew in der Nacht zum Donnerstag auf Facebook mit. Einige von ihnen hätten Folterspuren aufgewiesen, hieß es weiter. Borodjanka gehört zu den am stärksten zerstörten Städten in der Hauptstadtregion. Aus der Stadt wurden Gräueltaten der mittlerweile abgezogenen russischen Einheiten gemeldet. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.
UN-Generalsekretär will nach Kiew und Moskau reisen
UN-Generalsekretär António Guterres verstärkt indes seine diplomatischen Versuche, um eine Waffenruhe im Ukraine-Krieg zu erreichen. Guterres habe Briefe an die UN-Vertretungen Russlands und der Ukraine geschickt. Er will nach Kiew und Moskau reisen.
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