Kiew schließt Waffenruhe derzeit aus

Aftermath of a shelling at residential area, as Russia's attack on Ukraine continues, in Kharkiv
Biden: Putin will "Identität der Ukraine auslöschen". Ukrainischer Generalstab: Minsk stellte zusätzliche Einheiten im Grenzbereich auf.

Tag 88 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:

Die Ukraine schließt einen sofortigen Waffenstillstand mit Russland aus und ist nicht dazu bereit, der Regierung in Moskau territoriale Zugeständnisse zu machen. "Der Krieg muss mit der vollständigen Wiederherstellung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine enden", schrieb der Stabschef des Präsidialamts, Andrij Jermak, auf Twitter. Bei einem russischen Angriff auf eine Kaserne im Norden des Landes musste die Ukraine die bisher schwersten Verluste hinnehmen.

Nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj wurden bei einem Raketenebeschuss in Desna in der Region Tschernihiw vergangene Woche 87 Menschen getötet. Die ukrainischen Rettungsdienste hatten am Dienstag vergangener Woche von acht Toten gesprochen. Am Montag heulten wieder in der gesamten Ukraine Warnsirenen, die russischen Streitkräfte setzten ihre Offensive im Osten und Süden des Landes fort. Vor allem im Donbass und dem Gebiet der Stadt Mykolajiw im Süden tobten zum Teil heftige Kämpfe.   

Die heftigsten Gefechte lieferten sich beide Seiten zuletzt im Gebiet der Zwillingsstädte Sewerodonezk und Lyssytschansk nordwestlich von Luhansk, wie ein Berater des Innenministeriums sagte. Die russischen Truppen versuchen bereits seit Mitte April, die Reihen hier zu schließen und die ukrainischen Verbände einzukesseln. Serhij Hajdaj, der Gouverneur von Luhansk, sagte im TV, die russischen Truppen verfolgten eine Taktik der "verbrannten Erde". Sie wollten Sewerodonezk "auslöschen".

Bei den Kämpfen in der Ostukraine selbst gab es nach Angaben des Generalstabs wenig Veränderungen: Im Norden von Charkiw versuchten die Russen ihre Positionen zu verteidigen, weiter südlich bereiteten sie eine neue Offensive gegen die Großstadt Slowjansk vor. Beim Versuch, die Ortschaft Dowgenke westlich der strategisch wichtigen Straße zwischen Isjum und Slowjansk einzunehmen, sei das russische Militär jedoch zurückgeschlagen worden. Nach ukrainischen Angaben ebenfalls erfolglos verliefen in der Nacht die Angriffe Richtung Sewerodonezk und Bachmut. Im Raum Awdijiwka, Kurachowe, Nowopawliwka und Richtung Saporischschja seien die Kampfhandlungen abgeflaut, so der Sprecher des Generalstabs, Olexandr Stupun.

Selenskyj räumte indes ein, dass die Lage im Donbass "extrem schwierig" sei. Sein Berater Mychailo Podoljak schloss zugleich aber eine unmittelbare Kampfpause aus, wie sie von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und dem italienischen Regierungschef Mario Draghi ins Gespräch gebracht worden war. Damit würde sich die Ukraine nur selbst schaden, da Russland nach einer Waffenruhe nur umso härter zuschlagen würde, sagte Podoljak. "Sie starten dann eine neue Offensive, noch blutiger und größer angelegt." Kiew werde auch keine Konzessionen machen, die auf Gebietsabtretungen hinausliefen, fügte er hinzu.

Russlands Staatschef Wladimir Putin versucht nach Ansicht von US-Präsident Joe Biden, "die Identität der Ukraine auszulöschen". Dies zeigten die russischen Bombardements ziviler Ziele in der Ukraine, darunter Schulen, Krankenhäuser und Museen, sagte Biden. Putin könne die Ukraine nicht besetzen, aber ihre Identität untergraben.

Russland warf dem Westen indes vor, mit seinen Sanktionen eine weltweite Nahrungsmittelkrise hervorgerufen zu haben. "Russland war immer eher ein verlässlicher Exporteur von Getreide", sagte der Sprecher das Präsidialamts in Moskau, Dmitri Peskow. "Wir sind nicht die Ursache des Problems." Nach Darstellung der Ukraine und des Westens blockieren russische Streitkräfte alle ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer, darunter auch den größten Hafen in Odessa. Millionen Tonnen Getreide liegen dort brach und können nicht exportiert werden, hieß es.

Einem Medienbericht zufolge signalisierte Russland seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Ukraine. Voraussetzung sei, dass Kiew eine "konstruktive Position" einnehme, berichtete die Agentur Ria unter Berufung auf den stellvertretenden Außenminister Russlands, Andrej Rudenko. Er wolle zudem nicht ausschließen, dass über den Austausch der Gefangenen aus dem Asowstal-Werk in Mariupol gesprochen werde.

Die ehemalige Sowjetrepublik Belarus, die sich bisher nicht aktiv am russisch-ukrainischen Krieg beteiligt hat, zog nach Angaben aus Kiew Streitkräfte an der Grenze zusammen. "Die belarussischen Streitkräfte führen verstärkt Aufklärung durch und haben zusätzliche Einheiten im Grenzbereich aufgestellt", teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht am Montag mit. Die Gefahr von Raketen- und Luftangriffen von belarussischem Gebiet aus bliebe nach ukrainischen Angaben erhalten.

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