Krieg als Bühne: Wie Präsident Selenskij seine Erfahrung im Showgeschäft nutzt
Der Super Bowl ist das TV-Ereignis der USA: Mindestens 100 Millionen Amerikaner schalten jedes Jahr ein, wenn das Finalspiel der National Football League (NFL) live übertragen wird; Millionen weitere Zuseher verfolgen den Event im Ausland.
Bereits vor der diesjährigen Ausgabe am Sonntag war daher spekuliert worden, ob Wolodimir Selenskij den Super Bowl für einen weiteren Auftritt nutzen würde – immerhin scheinen der ukrainische Präsident und sein Bemühen um anhaltende Unterstützung des Westens gegen Russland derzeit allgegenwärtig.
Zielgruppengerechte Inszenierung
Berichten von Welt und Bild zufolge war Selenskij dann tatsächlich auf einer Leinwand im Stadium zu sehen; mit einer emotionalen Würdigung ukrainischer Football-Spieler im Kriegseinsatz, die bereits vorige Woche bei einer Gala der NFL eingespielt worden war.
Egal, ob sie an Football-Fans oder Social-Media-User gerichtet sind, an Spitzenpolitiker, Parlamentarier oder einfache Menschen – Selenskijs Ansprachen sind stets perfekt choreografiert und an die jeweilige Zielgruppe angepasst.
Der 44-Jährige überzeugt beim persönlichen Aufeinandertreffen mit US-Präsident Joe Biden ebenso wie bei Besuchen an Kriegsschauplätzen, bei einer Rede vor dem EU-Parlament oder virtuell bei der Grammy-Verleihung.
Seit er kurz nach Kriegsbeginn vor knapp einem Jahr mit einem verwackelten Handy-Video zeigte, dass er sich entgegen russischer Propaganda weiter in Kiew befinde, ermutigt Selenskij seine Landsleute jeden Tag aufs neue mit Video-Botschaften, den Kampf gegen Russland nicht aufzugeben.
Diese Appelle richten sich natürlich auch ans Ausland – sie werden teils in mehrere Sprachen übersetzt.
"Diener des Volkes"
Gelernt hat Medienprofi Selenskij sein Handwerk von der Pike auf, allerdings nicht auf dem politischen Parkett, sondern im Showbusiness. Bevor er 2019 Staatschef wurde, war der studierte Jurist ein bekannter Komiker und Schauspieler, der sogar in der ukrainischen Ausgabe von „Dancing Stars“ mitwirkte.
Den größten Erfolg hatte Selenskij mit der satirischen TV-Serie „Diener des Volkes“, in der er zwischen 2015 und 2019 in drei Staffeln einen Lehrer spielte, der zum Präsidenten gewählt wird – der Plot klingt wie eine Blaupause seiner späteren Polit-Karriere.
Bei „Diener des Volkes“ fungierte Selenskij nicht nur als Hauptdarsteller, sondern auch als Produzent. Mehrere Mitglieder seines Teams – Drehbuchautoren, PR-Profis und Co-Produzenten – heuerte er nach seiner Wahl in den Präsidentenpalast für seinen Stab an. Einige sind immer noch an seiner Seite und dürften mitverantwortlich für die erfolgreiche Krisen-Kommunikation sein.
Pulli vs. Anzug
Auch wenn Selenskij in der Ukraine laut dem Literaten Andrej Kurkow nicht als der "Superstar" gilt, der er im Westen ist, steht ein Großteil der Ukrainer hinter ihm.
Mit seinem ikonischen Outfit, Armeepullover und derbe Stiefel, seinem Charme und seiner Emotionalität gilt er als authentisch – ganz anders als Kremlchef Putin, den man zumeist mit starrer Miene in Anzug und Krawatte an Tischen sitzen sieht.
Seine Nahbarkeit sichert Selenskij Sympathien, Titel wie „Person des Jahres“ (Time-Magazin) und am Ende auch dringend benötigte Waffenlieferungen des Westens. Selenskijs mediale Dauer-Präsenz ist allerdings nicht unumstritten, birgt sie doch laut manchen Beobachtern die Gefahr, dass sich seine Botschaften durch die vielen Auftritte abnutzen.
Selbstdarstellung
Groß war die Kritik unter anderem, als sich der Präsident vergangenen Juli mit seiner Ehefrau Olena Selenska, einer früheren Drehbuchautorin, von Starfotografin Annie Leibovitz für das Luxus-Modemagazin Vogue ablichten ließ.
Das Paar posierte unter anderem zwischen Sandsäcken oder in einem zerstörten Flugzeug und sah sich danach mit Vorwürfen der Selbstdarstellung auf Kosten von Kriegsopfern konfrontiert.
Mit US-Talk-Legende David Letterman sprach – und scherzte – Selenskij vor einigen Wochen in gemütlichen Sesseln in einer Kiewer U-Bahnstation. Dort suchen sonst Hauptstädtern Zuflucht vor russischen Luftangriffen.
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