Wahlen in der Türkei: Erdoğan macht Jagd auf Istanbul
Erdoğan will sich bei der Bürgermeisterwahl Ende März die von der Opposition regierte Millionenmetropole Istanbul zurückholen. Warum sein Plan aufgehen könnte.
Mit ausgezogenem Jackett und hochgekrempelten Ärmeln spricht Ekrem Imamoğlu Anfang Jänner im riesigen Haliç-Kongresszentrum im Istanbuler Stadtteil Beyoğlu zu seinen jubelnden Partei-Kollegen: "Wir werden wieder gewinnen!" Sein Wahlkampf trägt den Titel "Volle Kraft voraus, um Istanbul zu dienen"; im Hintergrund zeigen Bilder die Erfolge seiner Amtszeit. Und doch handelt seine Rede vor allem von den Schwierigkeiten, mit denen der CHP-Politiker in den letzten fünf Jahren zu kämpfen hatte: kein Geld für Infrastruktur, kein Geld für Wohnbau, kein Geld von Erdoğan für den verhassten Oppositionsbürgermeister in Istanbul.
Seit seinem Überraschungssieg 2019, den ihm Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit einer Wahlwiederholung streitig machen wollte – erfolglos –, gilt Imamoğlu als Schlüsselfigur der größten Oppositionspartei, der kemalistischen CHP. Am 31. März finden im ganzen Land Kommunalwahlen statt. Erdoğans, in den 1990ern selbst Bürgermeister von Istanbul, Ziel: jene Städte, die seine islamisch-konservative AKP 2019 verloren hat, wieder zurückzugewinnen – neben der Hauptstadt Ankara ist das allen voran Istanbul, nicht nur Statussymbol, sondern Wirtschafts- und Finanzmetropole des Landes.
Blasse Marionette
Eine so wichtige Wahl überlässt Erdoğan niemand anderem als sich selbst – auch ohne selbst zu kandidieren. Dafür hat er einen eher blassen, dafür umso loyaleren Vertrauten ausgewählt: Murat Kurum, ein Technokrat, zuvor türkischer Bauminister. Während seiner Amtszeit sollen Tausende abrissreife Gebäude legalisiert worden sein.
Regierungskritiker machen Kurum daher mitverantwortlich für die dramatische Bilanz des Erdbebens vor fast genau einem Jahr: Über 55.000 Menschen starben, Millionen wurden obdachlos. Ausgerechnet er verspricht nun, bei einem Sieg die 16-Millionen-Einwohner-Stadt Istanbul erdbebensicher machen zu wollen.
Umso aktiver dürfte Erdoğan daher selbst im Wahlkampf mitmischen: "Er wird versuchen, den Wahlkampf mit nationalen Inhalten zu füllen", sagt die Soziologin Sinem Adar von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zum Beispiel mit einer vermeintlich von außen drohenden Gefahr: "Mit der seit Monaten andauernde Militäroperation in Syrien und Irak will Erdoğan Unsicherheit in der Bevölkerung schaffen, und die AKP als Sicherheitsgarant der Türken präsentieren."
Möglich, dass Erdoğan auch deswegen den NATO-Beitritts Schwedens ratifiziert hat – nach 20-monatiger Blockade: um die F-16-Kampfjets, die er im Gegenzug von den USA erhalten soll, als Erfolg verbuchen zu können. Seine außenpolitischen Muskeln zeigen, damit konnte Erdoğan schon bei einigen Wahlen punkten.
Was dem Präsidenten bei seiner Jagd auf Istanbul zusätzlich nutzt: die zerstrittene Opposition. Für die Präsidentschaftswahl 2023 hatte sie sich trotz ideologischer Streitpunkte geschlossen hinter dem CHP-Kandidaten Kemal Kılıçdaroğlu versammelt – mit derselben Taktik wurde Imamoğlu 2019 Bürgermeister.
Doch nach der Niederlage im Vorjahr hat sich das Bündnis wieder überworfen. Die nationalistische İyi Parti hat ihren eigenen Kandidaten aufgestellt. Entscheidend wird sein, wie sich die kurdische Bevölkerung positioniert: "Imamoğlu hat nur dank der kurdischen Unterstützung gewonnen. Sollte die pro-kurdische DEM (früher HDP) diesmal einen eigenen Kandidaten aufstellen, dürfte seine Wiederwahl sehr schwer werden."
Für Imamoğlu steht dann nicht nur das Bürgermeisteramt auf dem Spiel: Sollte er an seiner Wiederwahl scheitern, verliert die Opposition ihren aktuell aussichtsreichen Kandidaten für die nächste Präsidentenwahl 2028. Das weiß auch Erdoğan: Imamoğlu droht deswegen ein Politikverbot. Dass dieses vor der Wahl gültig wird, gilt als unwahrscheinlich, Erdoğan würde Imamoğlu aus wahltaktischen Gründen kaum den Märtyrer-Status zugestehen.
Stattdessen ist ein Prozess nach der Wahl, am 25. April, gegen Imamoğlu angesetzt. "Erdoğan hat sich abgesichert", sagt Adar. "Sollte Imamoğlu die Wahl gewinnen, könnte er danach verurteilt und abgesetzt werden."
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