EU und Großbritannien einigen sich im Brexit-Streit: Kompromiss für Nordirland
So viel Einigkeit war bisher selten zwischen der EU und Großbritannien – und gegenseitiges Lob gab es noch dazu, als Premier Rishi Sunak und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vor der Presse am Montag ihren Erfolg feierten. „Historisch“ sei das neue „Windsor-Rahmenabkommen“ für Nordirland erklärten die beiden unisono in London. Es soll den jahrelangen Streit um Handelsregeln für die britische Provinz nach dem Brexit beilegen: „Ein neues Kapitel in unseren Beziehungen.“
Eine Chance für Sunak
Sunak hatte so die Gelegenheit, gleichzeitig seine diplomatischen Fähigkeiten auf der internationalen Bühne und seine Hauptrolle auf dem heimischen politischen Parkett unter Beweis zu stellen. Sein Fokus lag dabei vor allem auf Zweiterem, denn er musste die Einigung in einer Charmeoffensive an misstrauisches britisches Publikum verkaufen: die unionistische Partei DUP in Nordirland und Brexiteers in der eigenen konservativen Tory-Partei, angeführt von seinem Ex-Chef Boris Johnson, dem nach dessen Rücktritt im Vorjahr Ambitionen auf eine Rückkehr ins Premier-Amt nachgesagt werden.
Zoll, Steuern, Gesetze
Tatsächlich gilt der Nordirland-Kompromiss als „entscheidender Moment“ für Sunak, weil er beweisen wollte, dass er Resultate für das Land erzielen könne, so das Nachrichtenportal Politico. Dank des Deals werden Waren, die aus dem Rest Großbritanniens nach Nordirland kommen und dort bleiben, in Zukunft keinen Kontrollen mehr unterworfen sein; sie hatten etwa zu Sorgen um einen „Würstelkrieg“ geführt. Diese Lkw bekommen eine eigene „grüne“ Fahrspur und werden nicht mehr aufgehalten. Waren, die nach Irland weiterreisen, sollen vereinfachten Zollformalitäten unterliegen. Vorschriften zu Mehrwertsteuer, und Staatshilfen in Nordirland kann nun London aushandeln: Das betrifft etwa die Steuer auf Alkoholika, oder die Förderungen für Solarpanele. Außerdem soll in Zukunft die Regierung in Belfast das letzte Wort bei EU-Gesetzen haben, die in der Provinz gelten sollen.
Unterstützung der Opposition
Oppositionsführer Keir Starmer und seine Labour-Partei sagten Sunak Unterstützung zu und damit eine Mehrheit bei einer möglichen Abstimmung im Unterhaus, auch wenn die laut Experten nicht nötig sei. Die Daily Mail warnte aber, der Deal riskiere einen Tory-„Bürgerkrieg“ wegen verärgerter Brexiteers.
Ärger wegen Tee beim König
Am Montag erzürnte diese allerdings etwas anderes: ein Besuch von der Leyens bei König Charles III ziehe die sonst neutrale Royal Family in die Politik hinein, so Kritiker. Ein EU-Sprecher betonte aber, das Treffen habe mit dem Deal nichts zu tun.
Tories-Palastrevolte?
Sunak versucht Tory-Kritikern wie Johnson den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Ex-Premier versprach immer, „den Brexit zu vollenden“, aber Sunak meinte: „Der Brexit ist immer noch nicht durchgezogen, und ich will die Sache zu Ende bringen“.
Nach der Peitsche setzte der Premier auf Zuckerbrot und ließ sein Kabinett über wichtige Details des Deals informieren – scheinbar mit Erfolg. Nordirland-Minister Steve Baker, ein Brexiteer, der an Rücktritt gedacht hatte, sagte strahlend, man stehe vor „einem fantastischen Resultat für alle Beteiligten“. Ministerabgänge seien nun unwahrscheinlich, wusste die konservative Times.
All das machte eine von Sunak-Gegnern angedrohte Rebellion von 100 oder mehr Tories, angeführt von Johnson, weniger wahrscheinlich. Mit Spannung wurde aber erwartet, ob dieser oder andere Brexiteers in einer Unterhaus-Debatte am Montagabend gegen den EU-Deal Stellung nehmen würden.
Nordiren wollen genau prüfen
Die DUP, die zweitstärkste Partei in Nordirland, will sich mit ihrer Analyse Zeit lassen und Details genau studieren. Ihr Chef Jeffrey Donaldson warnte, die richtige Lösung sei wichtiger als eine rasche, denn ein „falscher Deal“ würde Spannungen nur vertiefen. Sollte sich die DUP, die bisher jegliche Rolle für den EuGH ablehnt, gegen die Einigung aussprechen, könnte sich auch die Regierungsbildung in Nordirland verzögern, die die Partei aus Protest gegen den Deal bisher blockiert.
Nordirland-Streit - und Lösung
Das Nordirland-Protokoll sieht vor, dass England, Schottland und Wales komplett von der EU abgenabelt werden. Nur Nordirland folgt den Regeln von EU-Binnenmarkt und Zollunion, damit es keine Kontrollen an der Landgrenze zu Irland gibt. Stattdessen soll kontrolliert werden, wenn Waren aus Großbritannien an den Häfen in Nordirland eintreffen. Deshalb wird auch von einer Zollgrenze in der Irischen See gesprochen. Das aber produzierte bisher enormen Rückstau im Warenverkehr. Jetzt sollen die Lkw, die Waren aus dem Rest Großbritanniens nach Nordirland bringen, eine eigene "grüne" Fahrspur erhalten. Sie fahren ungehindert über die innerbritische Grenze. Waren, die in die EU weiterreisen, bekommen weiter erleichterte Zollformalitäten.
Steuern, Zölle, Gesetze
Die offene Grenze zur Republik Irland ließ sich bisher nicht mit den britischen Regelungen für Nordirland in Einklang bringen. Neben den Problemen beim Warenexport, gab es Probleme mit Steuerregelungen, etwa der Mehrwert- oder der Alkoholsteuer und bei staatlichen Förderungen, etwa für Solarpanele. Die EU bestand darauf, dass in Nordirland EU-konforme Regelungen herrschen. Das lehnen wiederum die Briten ab. Ähnliches gilt für andere Gesetze und auch die Zuständigkeit von Gerichten, die diese Gesetze handhaben. Ein Land, das offene Grenzen zur EU habe, wie eben Nordirland, könne nicht einfach nach anderen Vorschriften handeln, meinte man in Brüssel. Diese EU-Gesetze sollen zwar zum Großteil weiter in Nordirland gelten, doch die Regierung in Belfast hat in Zukunft bei allen das letzte Wort
Alltägliche Probleme
Ständige Schwierigkeiten gab es etwa beim Versand von Päckchen, bei der Lieferung von Medikamenten und beim Mitnehmen von Haustieren vom Rest Großbritanniens nach Nordirland. Britische Wurstwaren konnten wiederholt nicht nach Nordirland gebracht werden, weil sie den EU-Vorschriften nicht entsprachen. All das soll in Zukunft ohne Grenzformalitäten abgewickelt werden.
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