Kern verliert auch mit der EU "langsam die Geduld"

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Der Kanzler las den Staats- und Regierungschefs wegen Uneinigkeit und Unentschlossenheit in Sachen Flüchtlinge, Steuerpolitik und Soziales die Leviten.

"Ich verliere langsam die Geduld. Die Erosion der EU schreitet voran, der Reformprozess der EU zeigt auch nach dem britischen Austrittsreferendum keine Ergebnisse, die soziale Säule bricht." Bundeskanzler Christian Kern redet sich so richtig in Rage. "Und jetzt kommt auf Europa noch die Herausforderung durch den neuen amerikanischen Präsidenten hinzu." Drastischer kann man den Zustand der EU kaum noch beschreiben.

Allein bei der Aufzählung der Probleme und der Kritik an Unentschlossenheit und Uneinigkeit der EU-Regierungen will es der Kanzler nicht belassen. Seinen Unmut hat er am Freitag im Kreise seiner Amtskollegen beim informellen EU-Gipfel auf Malta deutlich formuliert und weitere Mängel aufgezählt.

"Ziele nicht umgesetzt"

"Bei der Flüchtlingspolitik sind die Ziele nicht umgesetzt, die Zeichen der Entsolidarisierung häufen sich." Auch bei der Steuerpolitik fehlen Fortschritte, nach wie vor gebe es enorme Vorteile für internationale Konzerne. Ungerecht findet Kern die geplante deutsche Pkw-Maut. Und große Sorgen macht ihm der anhaltende Widerstand einiger, vor allem osteuropäischer Staaten bei der Richtlinie für die Entsendung von Arbeitnehmern. Die EU-Regelungen sollten einen besseren Schutz vor Lohndumping bieten und unfairen Wettbewerb bekämpfen. Im Rahmen der Personenfreizügigkeit habe es 2016 rund 180.000 Entsendungen von Beschäftigten aus anderen EU-Staaten nach Österreich gegeben, das könne Österreich nicht länger verkraften, erklärte der Kanzler.

All diese Punkte "servierte" er beim langen Lunch in La Valletta seinen Amtskolleginnen und -kollegen. Das einzige Diskussionsthema beim Arbeitsessen waren die "Künftigen Herausforderungen der EU".

Zu den aktuellen, nicht gelösten Herausforderungen zählt nach wie vor die Flüchtlingskrise. Die EU-Granden verständigten sich auf ein Zehn-Punkte-Programm für Libyen, um die illegale Migration über das Mittelmeer zu stoppen. Zentral dabei ist die Ausbildung und Ausrüstung der libyschen Küstenwache. Sie soll die Überfuhr von Flüchtlingen verhindern. Mindestens 200 Millionen Euro will die EU in das Bürgerkriegsland pumpen, auch für neue Flüchtlingslager in Libyen soll es finanzielle Hilfen geben. Italien hat gerade ein bilaterales Abkommen mit Libyen geschlossen, ähnlich dem einstigen Pakt mit Gaddafi, der für viel Geld Flüchtlinge an der Reise nach Europa hinderte. Asylzentren in Nordafrika, wie sie der deutsche Innenminister Thomas de Maizière sowie Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil fordern, wird es vorläufig noch nicht geben.

Sorge wegen Trump

Präsent bei all den Gesprächen der Staats- und Regierungschefs war eine Figur, die gar nicht anwesend war: US-Präsident Donald Trump. Kommissionschef Jean-Claude Juncker und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel appellierten an die Einheit Europas und warnten indirekt Polen und Ungarn sowie Rechtspopulisten in alle Ländern, die offen Sympathie für Trump zeigen, sich zu besinnen. Juncker mahnte "Geschlossenheit" ein, denn "Europa hat sein Schicksal selbst in der Hand."

Vor Beginn des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs kam der Bundeskanzler mit der britischen Premierministerin Theresa May zusammen. Der Termin war ihm wichtig, weil das Finale der Austrittsverhandlungen in die österreichische EU-Präsidentschaft in der zweiten Hälfte 2018 fallen wird. "Es geht um die finanziellen Auswirkungen für andere EU-Staaten nach der Trennung und die Absicherung österreichischer Staatsbürger, die im Vereinigten Königreich leben", erklärte Kern. May beharrte in dem Gespräch darauf, dass Großbritannien nach Abgabe des Scheidungsbriefes (laut Times am 9. März) den Austritt und die neuen Beziehungen zur EU gleichzeitig verhandeln wolle. Die EU-Kommission will das partout nicht: Zuerst soll die Scheidung verhandelt werden, dann erst ein Vertrag über die Zusammenarbeit.

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