Keine Direktverbindung nach Zagreb: Die ÖBB zogen die Notbremse
Im Geisterzug: Bahnfahren in Kroatien war immer schon relativ teuer und mühsam. Jetzt gibt es nicht einmal mehr einen Zug von Wien nach Zagreb. Ein Reisebericht.
Zagreb Hauptbahnhof, 7.07 Uhr: Der "EC Croatia" hat wie so oft Verspätung, bevor er noch abgefahren ist. Die kroatischen Eisenbahner nennen diesen Zug, der aussieht, als würde er ins nächstgelegene Kuhdorf fahren, allen Ernstes weiterhin "Eurocity".
Mit gefühlt 3 km/h rollen die beiden Retro-Waggons, ein slowenischer und ein kroatischer, am Zagreber Westbahnhof vorbei. Ihr Interieur erlaubt eine Zeitreise zurück ins Tito-Jugoslawien: Es gibt keine Steckdosen, kein Internet, keine Durchsagen, keine Klimaanlage, dafür händisch zu öffnende Türen und Fenster, diese mit zum Teil fehlenden dunkelblauen Stoffvorhängen. Und es gibt noch Aschenbecher.
Die ins Auge stechenden grün-blauen Polstersitze sind nur mehr zum Teil gefedert. Tief versinkt man in ihnen und in ihrer Vergangenheit. Dünne Wände aus Resopal trennen die zehn 6er-Coupés. Sechs Mitreisende im ganzen Waggon wollen sich diese Authentizität nicht entgehen lassen. 23,60 Euro kostet eine Fahrkarte – bis Graz.
Bis Graz? Der EC 158 wird sich unterwegs wundersam in den D 158 verwandeln und nicht mehr in Wien, sondern in Graz enden. Intensiv bewarben die ÖBB zuletzt ihre Nachtzüge in den Westen Europas, stillschweigend haben sie zeitgleich die letzte Direktverbindung von Wien nach Zagreb gekappt.
Ein Bahnsprecher mailt auf KURIER-Anfrage: „Die Gespräche mit den Kollegen in Kroatien haben leider zu keiner Verbesserung der Pünktlichkeit geführt.“ Weil die Züge aus Zagreb und Split jahrzehntelang zu spät in Spielfeld ankamen, zog man de facto die Notbremse.
Politische Grenzen
Warum die kroatische Lok 33 Minuten für die knapp 30 schnurgeraden Bahnkilometer bis zum slowenischen Grenzbahnhof Dobova benötigt und dabei 11 Minuten Verspätung ansammelt, will der wenig motivierte Schaffner der kroatischen Eisenbahngesellschaft nicht erklären. Ihn interessiert nicht einmal, ob seine Fahrgäste Fahrkarten besitzen.
In Dobova 30 Minuten Aufenthalt: Die kroatische Lokomotive wird im Schneckentempo abgekuppelt, eine slowenische Lok übernimmt. Herrlich für Menschen, die sich nach Entschleunigung sehnen, ein Horror für das Klima: Nur Idealisten wollen hier regelmäßig mit der Bahn fahren. Grenzüberschreitende Eisenbahn wie anderswo in der EU ist für slowenische und kroatische Verkehrspolitiker weiterhin kein Thema.
Nur ein Jahr nach dem Schengen-Beitritt Kroatiens schreiten auch wieder slowenische Zöllner durch den Zug: "Passports!" Ein junger Mann aus einem „Drittstaat“ muss aussteigen, unscharf wird ihm erklärt: "Must go back to Zagreb, Atatürk Embassy!"
Die slowenischen Gleise lassen ein paar km/h mehr zu. Doch dafür wurde der altersschwache Waggon nicht gebaut. Er schaukelt wie ein kleiner Fischerkahn bei Wellengang auf dem adriatischen Meer. Das mechanische Scheppern eines losen Waschbeckenteils auf einer der beiden Toiletten sorgt für den dazu passenden Rhythmus.
Grenzenloser Luxus
Immerhin werden neben dem Plumpsklo zwei ganze Rollen WC-Papier und kaltes Wasser zum Händewaschen angeboten, auf dieses Angebot gab es zuletzt keine Garantie.
Wieder länger Warten: erst im Bahnhof der Bierstadt Laško (Vorfahrt für die slowenische Regionalbahn!), dann in Maribor (Grund unbekannt) und dann noch einmal in Spielfeld (erneut Lokomotiventausch). So bummelt der kroatische „Eurocity“ fast vier Stunden durch Slowenien und die Südsteiermark. Dabei wäre es laut 25 Jahre alten Plänen in einer Schublade des österreichischen Verkehrsministeriums ohne große bauliche Maßnahmen möglich, die Bahnrelation Graz – Zagreb in weniger als 90 Minuten zu befahren.
Auch heute legt die alte Heizung unterwegs das eine oder andere Päuschen ein. Fröstelnd erinnert man sich an das Mail des ÖBB-Sprechers: „Internationale Verbindungen funktionieren so, dass ab der Grenze die lokale Bahnverwaltung für den Zug verantwortlich ist.“
Stillschweigend nehmen die Fahrgäste in Spielfeld die von den ÖBB gerne bemühte „verspätete Grenzübergabe“ zur Kenntnis. Durchsagen vom österreichischen Schaffner gibt es in diesem Geisterzug nicht. Dafür ein Versprechen des ÖBB-Sprechers: „Im Falle der pünktlichen Ankunft der Züge aus Zagreb bleibt die Reisezeit im Vergleich zum Fahrplan vor dem 4. September unverändert.“
Er meint damit: Siebeneinhalb Stunden von Zagreb nach Wien, bei Einhaltung des Fahrplans. Sonst achteinhalb Stunden oder sogar noch mehr. So wie seinerzeit in der Monarchie.
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