Kein Verlass mehr auf die USA: Was Europa unternehmen muss
Eine "goldene Gelegenheit" waren die egozentrischen Auftritte von US-Präsident Donald Trump bei der NATO und beim G7-Gipfel auf Sizilien für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, um eine "strategische Botschaft" an die EU-Partner und die USA loszuwerden, erklärt gegenüber dem KURIER der bekannte deutsche Zeithistoriker und Politologe Michael Wolffsohn. Doch "jetzt müssten Taten folgen", sagt der ehemalige Professor der Universität der Bundeswehr in München.
Seit Jahren habe die EU angekündigt, mehr für Verteidigung auszugeben, passiert sei aber so gut wie nichts. Wolffsohn sagt voraus, dass "jenseits der Worte kein Wille der EU-Mitglieder bestehe, für Sicherheit tatsächlich mehr zu tun. Europa hat es verschlafen, in Verteidigung zu investieren. Die USA haben für die Sicherheit der Europäer garantiert". Er weist darauf hin, dass in der EU "Sozialpolitik und Wohlfahrt vorrangig vor Sicherheitsinteressen gesehen wurden". Um in Zukunft mehr für Verteidigung zu tun, für Forschung im Sicherheitsbereich, bei Waffentechnologien und im Anti-Terrorkampf, werde die "Vorreiterrolle einiger Länder nötig sein". Ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten werde die Folge sein.
Reform für Eurozone
Um Stärke und Selbstbewusstsein der EU gegenüber den USA und anderen Teilen der Welt zu signalisieren, müsste die EU in drei Bereichen umfassende Reformen durchsetzen: In der Eurozone, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie im Flüchtlings- und Migrationswesen, sagt der Europa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Nicolai von Ondarza.
Der Satz von Merkel, "die Zeiten, in denen wir uns auf andere verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei", deute darauf hin, dass Deutschland nach der Wahl im September zu Reformen in der EU und "zu einem Souveränitätstransfer an die EU" bereit sei, erklärt von Ondarza.
Aber eine fundamentale Neuordnung der EU-Politik dürfte diese Souveränitätsverlagerung an Brüssel nicht sein. Wie Frankreich und Europas Sozialdemokraten fordern, dürfte es zu einem eigenen Budget für die Eurozone kommen, aus diesem Haushalt könnten dann gemeinsame Investitionen finanziert werden. Nach wie vor ein Tabu für die Deutschen seien Eurobonds (Anleihen, die gemeinsam von den Staaten der Eurozone ausgegeben werden). Möglich wäre auch eine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung.
Im Bereich Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik dürfte es neben Rhetorik kaum Fortschritte geben, wie Wolffsohn meint. Der Plan einer Euro-Armee ist nicht realisierbar. Zu groß seien die Widerstände dagegen, nicht zuletzt von den neutralen Ländern wie Österreich.
Flüchtlingsproblem
Nicht gelöst sei für die EU das Flüchtlingsproblem und die Frage legaler Migration. Angedacht sei, die Grenz- und Küstenschutzagentur Frontex weiter zu stärken, so Ondarza. Die Verteilung von Flüchtlingen in der EU sei weiter offen. Keine Einigung gebe es im Umgang mit Libyen, wo bis zu einer Million Flüchtlinge warteten, um nach Europa aufzubrechen.
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