Kam Corona doch aus dem Labor? Kritik an neuer "Studie"

Kam Corona doch aus dem Labor? Kritik an neuer "Studie"
Der Hamburger Physiker Roland Wiesendanger lässt mit einer umstrittenen Studie aufhorchen.

Das Gerücht, Corona-Viren würden aus einem Labor stammen, hält sich hartnäckig. Neue Nahrung erhielt diese Theorie durch den Physiker Roland Wiesendanger von der Universität Hamburg, der vor Kurzem diese These in einer "Studie" vertrat. Derzeit gehen allerdings so gut wie alle führenden Wissenschafter davon aus, dass Fledermäuse der Ursprung der Pandemie sind.

Wissenschaftsjournalist Florian Aigner, selbst Physiker, hat sich das, was Wiesendanger als Forschung verkauft, angeschaut und ist schockiert: „Dieses Vorgehen widerspricht allem, was seriöse Wissenschaft ausmacht.“

Seriös und unseriös

Was aber macht eine seriöse Studie aus, und wie erkenne ich diese? Das wollte der KURIER von Florian Aigner wissen. „Zuerst einmal würde ich schauen, ob der Forscher vom Fach ist. Wiesendanger ist nämich kein Virologe und hat auch in diesem Bereich noch nie geforscht. Das ist schon einmal ein wichtiges Indiz, aber nicht der entscheidende Punkt: Wenn man  wie Wiesendanger nicht vom Fach  ist und glaubt, Experten vom Fach widersprechen zu können,  dann sollte man ausnehmend gute Argumente haben.“ Und von guten Argumenten kann bei Wiesendanger nicht die Rede sein.  

Für wissenschaftliche Studien gibt es nämlich Qualitätsregeln, wie auch Aigners Hamburger Kollege wissen sollte. Und Wiesendanger weiß das offenbar sogar. „Deshalb hat  er seine Äußerungen relativiert und gesagt, seine Aussagen seien nur für die Öffentlichkeit bestimmt, aber nicht für die Wissenschaft.“

Regeln einhalten

Ein Argument, das Aigner nicht gelten lässt: „Wenn man als Wissenschafter auftritt und dies dann auch noch in Abstimmung mit der Universität macht, ist man als Professor auch verpflichtet, die wissenschaftlichen Regeln einzuhalten.“

Doch beim Durchlesen von Wiesendangers Arbeit, stellt man fest, "dass er hier überhaupt keine eigenen Daten und Fakten liefert, er hat bloß Texte aus dem Internet zusammengestoppelt. Das ist nichts mehr als der erste Schritt des wissenschaftlichen Arbeitens. Das kann man einfach nicht machen.“ So verwendet der Physiker zum Teil fragwürdige Quellen: unter anderem Artikel des Magazins "Focus", des bei Verschwörungstheoretikern beliebten Portals "Epoch Times”, daneben Wikipedia-Artikel, Twitter-Accounts und Youtube-Videos.

Aigner ärgert sich deshalb über Wiesendanger: „So untergräbt er das Vertrauen in die Wissenschaft.“

Doch wie erkennt jetzt der Leser, die Leserin, ob seriöse wissenschaftliche Arbeit hinter einer Studie steckt? „Das ist gar nicht so einfach, weil man oft sehr weit in die Tiefen der Studien gehen muss.“ Und um die zu verstehen, braucht es etwas Vorwissen.

Ein paar Indizien gibt es aber, die auf eine seriöse Forschung hindeuten: "Das erste Indiz ist die Frage, ob jemand Experte auf dem Gebiet ist. Und zweitens – das erscheint mir noch wichtiger – entspricht die These dem Konsens in der Wissenschaft.“

Heißt also: Hat sich eine These in der Wissenschaft einmal durchgesetzt, kann man sicher sein, dass diese auch stimmt.

Spektakuläre Behauptungen

Vorsichtig sollte man auch werden, wenn jemand spektakuläre Behauptungen aufstellt. „Wenn ich das aktuelle Wissen komplett umstürzen will, brauche ich spektakuläre neue Indizien, die ich ins Feld führe. Die gab es in diesem Fall nicht.“

Nicht zuletzt muss ein Wissenschafter seine Thesen auch immer vor der Kollegenschaft verteidigen: Wer eine neue Studie veröffentlichen will, reicht  diese bei wissenschaftlichen Fachzeitschriften wie Nature oder Science ein, um die zwei bekanntesten zu nennen. Dort  gibt es Experten, die  die eingereichte Arbeit bewerten – und erst nach eingehender Prüfung veröffentlichen. Im Fachjargon nennt man das Peerreview. Das, was eingereicht wurde, Preprint.

Wiesendanger hat sein 105-seitiges Konvolut „Studie vom Ursprung der Coronapandemie“ allerdings nur auf der Seite researchgate.net veröffentlicht: Hier müssen die Forscher etwas für die Veröffentlichung bezahlen, ein Peer-Review gibt es  nicht. Auch das ist ein Hinweis, dass es sich um keine seriöse Studie handelt.

Keine Standards

In Summe heißt das: Das, was da als Studie angepriesen wird ist weit weg von allem, was wissenschaftlichen Standards entspricht. Im aktuellen Fall kommt noch eine weitere Komponente hinzu: Die Chinesen haben ein großes Interesse daran,  nicht als Verursacher der größten Pandemie seit hundert Jahren dazustehen. Und sie versuchen alles, um hier ein anderes Bild zu zeichnen. Warum Roland Wiesendanger sich also bemüßigt fühlte, diese Studie zu veröffentlichen, bleibt im Unklaren.

Im Labor

Heißt das jetzt, dass die Labor-Theorie ein für alle mal gestorben ist? „Man kann darüber diskutieren“, meint Aigner: „Aber wenn man diese Theorie vertritt, braucht man schon verdammt gute Argumente.“

In der Wissenschaftsgeschichte gab es durchaus immer wieder Fälle, wo wissenschaftlich unverrückbare Wahrheiten, widerlegt wurden. Man denke etwa an Alfred Wegener, der mit seiner Theorie der Plattentektonik zuerst belächelt wurde. Heute ist sie Allgemeinwissen. „Doch Wegener hatte sehr gute Argumente“, weiß Aigner. Und die hat Wiesendanger eben nicht.

 

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