Enttäuschte Hoffnungen in Kroatien
Ivan Jaric streift sich die Handschuhe über und sortiert Fahrradschläuche. Langsam und konzentriert. "Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union existiert nur auf dem Papier", sagt der 32-Jährige mit ruhiger Stimme. Gemeinsam mit einem Freund betreibt er ein Fahrradgeschäft in Vukovar, zirka 300 Kilometer von Zagreb entfernt.
Die Kleinstadt liegt in Ostslawonien. Einst die Kornkammer des Landes, sieht man heute viele verfallene Höfe, brachliegende Felder und Häuser mit faustgroßen Einschusslöchern. "Es hat sich nichts verändert", sagt Ivan. "Für manche Leute ist der Krieg hier noch nicht vorbei." Damit meint er nicht nur die sichtbaren Narben an den Häusern, die Geschoße serbischer Milizen und der jugoslawischen Armee zwischen 1991 und 1995 hinterließen.
Die kroatische Bevölkerung und die serbische Minderheit (34,9 Prozent) leben nebeneinander in zwei Welten. Es gibt separate Kindergärten und Schulen. Vor Monaten gingen Kriegsveteranen auf die Straße und protestierten gegen zweisprachige Ortstafeln. Für Ivan ein Grund mehr, Vukovar zu verlassen. "Ich habe genug von dieser Stadt. Die Stimmung ist schlecht, die Leute haben keine Arbeit. Ich will nicht, dass meine Kinder einmal hier aufwachsen." Obwohl sein Geschäft gut läuft und, wie er sagt, vom freien Marktzugang profitiert, will er nach Zagreb ziehen.
"Die Menschen sind zu wenig informiert. Es braucht eine Partei, die diesen Spirit – warum die Europäische Union gut ist – vermittelt." Im vergangenen Europawahlkampf gelang dies nicht.
Falsches Bild
Jasna Maric Krajacic, Pressesprecherin im Haus der Europäischen Union in Zagreb, bestätigt, dass die Parteien bewusst wenig in den Walkampf investierten und informierten. "Die Wahlen waren für die Politiker nicht relevant, da sie mit einer geringen Wahlbeteiligung rechneten." Krajacic ist zudem überzeugt, dass viele ein falsches Bild von der EU haben: "Sie hat einen friedensstiftenden Hintergrund und ist nicht entstanden, um einfach so in Länder zu investieren, dazu braucht es einen Rahmen und es kommt auf den Markt an – der ist hier klein." Dennoch will sie weiterhin versuchen die Menschen zu überzeugen. "Das EU-Parlament ist sehr bürgernah - das müssen wir ihnen noch näher bringen." Ein bis zwei Schulklassen kommen pro Woche in das Europahaus. Krajacic berichtet, dass vor allem junge Menschen skeptisch und wenig informiert sind. "Man sollte wie in Montenegro freie Wahlfächer zu EU-Themen anbieten."
Zurück in Vukovar. Ivans Freundin Ana kommt ins Geschäft. Angesprochen auf die Europa-Wahlen im Mai, reagiert sie verwundert. "Die waren doch vor einem Jahr?" Sie zuckt mit den Schultern. Politik ist ihr nicht so wichtig, sagt sie. Seit zwei Wochen ist die 28-Jährige arbeitslos. Zuvor arbeitete sie als Kellnerin. Kroatien hat nach Griechenland und Spanien die dritthöchste Jugendarbeitslosenquote im EU-Raum.
Im Ausland studieren
Über die EU-Skepsis seiner Landsleute ist er besorgt: "Es ist schade, dass die europäischen Werte wie Toleranz und Respekt bei vielen Menschen nicht angekommen sind. Stattdessen kommt nach dem Beitritt ein Referendum zum Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe, das die Mehrheit befürwortet. Soll das der Weg zu einer offenen Gesellschaft sein?"
Den Weg zu einer besseren Zukunft wollen Ana und ihr Freund gemeinsam gehen. Bald werden sie nach Zagreb ziehen. Er wird dort die Zweigstelle seines Fahrradgeschäfts ausbauen. Ana hat wieder eine Stelle als Kellnerin in Aussicht und bereits eine Wohnung organisiert. Bisher lebte sie bei ihren Eltern. "Ich will auf eigenen Beinen stehen und selbstständiger sein. In Zagreb ist das Leben zwar teurer, aber besser."
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