Johnsons No-Deal-Brexit versetzt Märkte in Alarmbereitschaft

Der britische Premierminister beharrt auf Nachverhandlungen über den Brexit-Deal. Ein gefährlicher "No Deal" wird immer wahrscheinlicher.

Boris Johnson hat keine Eile. Derzeit weilt er in Wales, zuvor tourte der neue britische Premierminister durch Schottland. Und laut Umfragen kommt das gar nicht so schlecht an. Demnach liegen die konservativen Tories derzeit bei etwa 31 Prozent und damit weit vor der zweitplatzierten Labour-Partei.

Bis zum 31. Oktober bleibt Johnson noch Zeit, mit den EU-Staaten das Austrittsabkommen zu beschließen. Nachverhandlungen werden von EU-Seite ausgeschlossen. Eigentlich könnte der Zeitpunkt für Neuwahlen kaum günstiger sein, würde damit doch wohl auch die parlamentarische Mehrheit gegen einen No-Deal-Brexit - die Johnson aktuell innenpolitisch blockiert - wegfallen.

Johnsons No-Deal-Brexit versetzt Märkte in Alarmbereitschaft

Tories in Front

Grundsätzlich würde das aber nichts daran ändern, dass ein ungeordneter Austritt eine massive, wirtschaftliche Gefahr für Großbritannien darstellt. Die Zölle für Exporte würden sofort in die Höhe schnellen.

Bisher hat es Johnson vermieden, darüber mit den EU-Großmächten Frankreich und Deutschland zu sprechen. Keine Visite bei Macron, kein Besuch bei Merkel. Dazu sei Johnson laut Guardian nur bereit, falls die EU den Brexit-Deal nachverhandelt - was die EU kategorisch ausschließt. 

Was für Druckmittel hat Johnson? Eher keine. Der blonde Strubbelkopf, dem eine hohe Intelligenz nachgesagt wird, spielt seelenruhig mit dem Feuer.

Er versucht, Druck auf die EU aufzubauen. Er freue "sich darauf, mit den Regierungschefs zu sprechen, sobald sich deren Einstellung ändert", sagte er am Montagnachmittag - eine bewusste Provokation.

Will Johnson den No-Deal-Brexit?

Es wird immer wahrscheinlicher, dass Johnson einen Brexit ohne Vertrag anstrebt. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon vom Koalitionspartner SNP hält das für brandgefährlich. Es sei nicht klar, wie er die EU zu Neuverhandlungen über den Brexit-Vertrag bewegen wolle, sagte sie am Montag.

"Daraus schließe ich, egal was er öffentlich sagt, dass er in Wirklichkeit einen Brexit ohne Vertrag anstrebt", so Sturgeon. Das sei die logische Konsequenz aus dem harten Kurs, den Johnson verfolge. "Ich denke, das ist extrem gefährlich für Schottland, ja für das ganze Vereinigte Königreich."

Johnsons No-Deal-Brexit versetzt Märkte in Alarmbereitschaft

Johnson und Sturgeon

Ein Versprechen an die walisischen Bauern

Johnson negiert das, pocht konsequent auf Nachverhandlungen und macht derweil ein Versprechen an die walisischen Bauern. Dass es nach dem EU-Austritt steil bergauf gehen werde, prophezeit Johnson, ungeachtet dessen, dass vor allem der Südwesten des Landes von EU-Fördermitteln lebt.

Rund 80 Prozent der Einnahmen der walisischen Bauern in diesem Landesteil stammen aus EU-Mitteln. Johnson verspricht "neue Maßnahmen zur Unterstützung der Landwirtschaft einzuführen - und wir werden sicherstellen, dass die Bauern einen besseren Deal bekommen".

Wie das funktionieren soll? Das verrät Johnson noch nicht. Der Regierungschef von Wales, Mark Drakeford - von der Labour-Partei - reagierte auf Twitter: "Keine Anerkennung, dass Lebensgrundlagen in Gefahr sind. Keine ernsthaften Antworten. Kein Plan für die Bauern von Wales." Durch einen No-Deal-Brexit würden die Landwirte nicht nur den Zugang zum EU-Markt verlieren, auch die überlebensnotwendigen Investitionen würden wegfallen.

Märkte in Alarmbereitschaft

Johnson spielt auf Zeit, versucht Druck zu machen, während das Szenario eines No-Deal-Brexits immer realistischer wird. Das macht sich an der Börse bemerkbar. Das britische Pfund sank am Dienstag auf 1,2119 Dollar - der niedrigste Stand seit über zwei Jahren.

Damit droht dieser Juli zu einem der schwächsten Monate für das Pfund seit dem Brexit-Votum im Sommer 2016 zu werden. Gegenüber dem Dollar hat die britische Währung bislang über drei Prozent eingebüßt.

Neil Wilson, Experte von Marktes.com, meinte gegenüber dem deutschen Handelsblatt, dass diese Entwicklung eng mit dem drohenden No-Deal-Brexit verbunden sei. „Es ist, als ob man sein Haus mit Sandsäcken auf eine Flut vorbereitet“, sagte die Leiterin des Unternehmerverbandes für Verhandlungen mit der EU (CBI), Nicole Sykes.

Großbritannien bereitet sich bereits auf den No Deal vor. Laut Finanzminister Sajid Javid werden erhebliche, finanzielle Mittel locker gemacht. Mit dem zusätzlichen Geld sollen weitreichende, öffentliche Investitions-Kampagnen finanziert werden, um Einzelpersonen, aber auch Unternehmer für einen No Deal zu rüsten.

Irland will keinen neuen Brexit-Deal

Eine klare Ansage kommt indes vom irischen Ministerpräsidenten Leo Vardkar. Er wird Johnson nicht bei der Neuverhandlung eines Brexit-Vertrags unterstützen. Das habe Vardkar Johnson in einem Telefonat erklärt.

Die umstrittene Sonderregelung für die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und der britischen Provinz Nordirland könne zwar später durch andere Vereinbarungen ersetzt werden. Zufriedenstellende Optionen lägen aber noch nicht vor. Varadkar lud Johnson nach Dublin ein, um weiter über den Brexit zu sprechen.

Johnson bekräftigte in dem Telefonat nach Angaben seines Büros, dass Großbritannien am 31. Oktober die EU mit oder ohne Vertrag verlassen werde, "komme was wolle". Zudem forderte er erneut, dass auf die sogenannte Backstop-Regelung für die Nordirland-Grenze verzichtet werden müsse. Der Austritts-Vertrag ist mehrfach im britischen Parlament gescheitert.

Streitpunkt ist vor allem der Backstop. Die EU will damit verhindern, dass es zwischen Irland und Nordirland wieder Grenzkontrollen gibt. Ansonsten wird ein Wiederaufflammen der Gewalt befürchtet, wie in den Jahrzehnten vor dem Nordirland-Friedensabkommen von 1998.

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