Johnson, der vergangene Woche ein Misstrauensvotum seiner Fraktion schwer angeschlagen überlebte, hofft, mit seinem alten Leibthema Brexit und mit dem Hervorkramen seines alten Feindbildes EU wieder politisch zu punkten. In einem Radio-Interview spielte Johnson die Sprengkraft der Gesetzesvorlage herunter. „Offen gesagt handelt es sich um relativ triviale Anpassungen“, die „bürokratische Vereinfachungen“ brächten. Sollte die EU als Reaktion einen Handelskrieg beginnen, wäre das eine „grobe Überreaktion“. Der Gesetzesvorschlag sei „keine große Sache,“ meinte er.
Außenministerin Liz Truss, die das Gesetz als Chance sieht, sich bei Brexiteers als potenzielle Johnson-Nachfolgerin zu empfehlen, twitterte, das Ziel sei, „Frieden und Stabilität in Nordirland zu schützen“. Sie betonte: „Unsere Präferenz ist eine Verhandlungslösung, aber die EU muss bereit sein, das Protokoll zu ändern“.
In Brüssel reagiert man empört und spielt den Ball zurück. Das Brexit-Paket aufzuschnüren kommt für die EU nicht infrage. Man werde stattdessen „mit allen verfügbaren Mitteln“ reagieren, hieß es. Ein Handelskrieg, wie ihn Johnson andeutet, gehört zunächst sicher nicht dazu. In einer ersten Runde käme es zu Klagen. „Eine Provokation und einen Verstoß gegen internationales Recht“ sieht Andreas Schieder, SPÖ-EU-Delegationsleiter und Brexit-Berichterstatter im außenpolitischen Ausschuss des EU-Parlaments, im Gesetzesentwurf der britischen Regierung: „Es kann keine einseitige Änderung der Brexit-Vereinbarung geben, das betrifft natürlich auch das Nordirland-Protokoll.“
Obwohl Johnsons konservative Partei über eine Mehrheit von 80 Sitzen im Unterhaus verfügt, dürfte die Verabschiedung des Gesetzes nicht einfach werden. Gegenwind und Kritik kommen nicht nur von der Opposition, sondern auch aus den eigenen Tory-Reihen. Auch im Oberhaus muss Johnson heftige Gegenwehr erwarten.
Das Protokoll, das den EU-Binnenmarkt schützen soll, unterwirft Waren, die aus anderen britischen Landesteilen nach Nordirland transportiert werden, Kontrollen. Der Regierung ist ein Dorn im Auge, dass es eine inner-britische Zollgrenze geschaffen hat und Nordirland weiter als Teil der Zollunion behandelt. Besonders protestantische Politiker in Nordirland, die um die Zukunft des Vereinigten Königreichs fürchten, irritiert das. Außerdem sind Kontrollen mühsamer als erwartet, verzögern den Warenverkehr und machen so manches teurer, sagen Kritiker.
Aus Protest gegen das Nordirland-Protokoll verweigert die protestantische und pro-britische DUP, seit der Regionalwahl im Mai nur mehr die zweitstärkste Kraft in Belfast, ihre Teilnahme an einer im Karfreitagsabkommen vorgesehenen gemeinsamen Regierung mit der mandats-stärksten katholischen Sinn Fein. Diese tritt für die Vereinigung mit Irland ein. Johnsons Regierung setzt darauf, dass das neue Gesetz die DUP zur Bildung einer Regionalregierung überzeugen wird.
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