John Kerry: Weltpolitik auf der Bank im Resselpark
„Ein Vollprofi mit Jahrzehnten an Erfahrung – und vor allem jemand, dem man Europa und seine Eigentümlichkeiten nicht erklären muss.“ Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg zeigt nur zu gerne seine Freude und Erleichterung über die Rückkehr von John Kerry in die US-Spitzenpolitik. Obendrein hat der Klima-Beauftragte des künftigen US-Präsidenten Joe Biden Verbindungen zu Österreich – und das gleich mehrfach.
Die Familie Kerry hat altösterreichisch-jüdische Wurzeln in Niederösterreich und Nordmähren. Als US-Außenminister war Kerry mehrmals und 2015 auch wochenlang in Wien. Es war der „längste durchgängige Österreich-Aufenthalt eines US-Außenministers, den es je gab“, meint Schallenberg gegenüber dem KURIER. Das Bild des auf einer Parkbank im Resselpark am Karlsplatz telefonierenden John Kerry dokumentierte damals dessen unermüdlichen Einsatz für das Abkommen.
Wichtige Beziehungen
„Freundlich, zugänglich, mit einer ausgeprägten Vorliebe für Kunst und Kultur“, so hat Schallenberg – damals strategischer Planer im Außenamt – den Amerikaner in Wien, aber auch bei allen Treffen seither erlebt: „Solche persönlichen Beziehungen haben Vorteile, vor allem weil es gerade in Klimafragen ohne die USA nicht gehen wird.“
In Wien rang Kerry 2014 mit dem iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif um ein Atom-Abkommen. Der Iran sollte nicht die Mittel in die Hand bekommen, um eine Atombombe zu bauen.
Die Iran-Gespräche im Wiener Innenstadtpalais Coburg gestalteten sich äußerst schwierig. Kerry sprach von „bedeutenden Differenzen“. Ein Durchbruch blieb zunächst aus.
Der damalige Außenminister und heutige Bundeskanzler Sebastian Kurz setzte sich dafür ein, die Iran-Verhandlungen wieder nach Wien zu bringen. Und tatsächlich begaben sich der US-Außenminister und seine Amtskollegen Ende Juni 2015 erneut in die Bundeshauptstadt, obwohl Kerry Ende Mai bei einem Radunfall in den französischen Alpen einen Oberschenkelbruch erlitten hatte. Kerry landete im Juni 2015 in Wien – gestützt auf Krücken – für den Endspurt zum Atom-Deal.
Der Endspurt wurde zu einem Marathon, die Frist mehrmals verschoben. Nur langsam zeichneten sich Fortschritte ab. Kerry und Zarif blieben in Wien, bis am 14. Juli 2015 der Durchbruch gelang: eine Einigung im Atomstreit nach 13 Jahren. „Das ist der gute Deal, den wir wollten“, sagte Kerry. Donald Trump sah dies bekanntlich anders und stieg aus dem Atomabkommen wieder aus.
Familiäre Wurzeln
Doch nicht nur Berufliches verbindet Kerry mit Österreich. Seine familiären Wurzeln liegen in der Donaumonarchie. Sein Großvater Fritz Kohn kam 1873 in Horni Benesov zu Welt, als es noch Bennisch hieß und in dem zum Habsburgerreich gehörigen Teil Schlesiens lag.
Die Familie übersiedelte nach Wien und fasste 1880 in Mödling Fuß. Vater Fritz änderte den Familiennamen – und auch die Religion vom Judentum zum Katholizismus. Der Name Kerry war dabei reiner Zufall: Fritz und sein Bruder Erich ließen einen Stift über einem Atlas kreisen. Sie beschlossen, den Namen anzunehmen, auf den die Bleistiftspitze zeigen würde. Es traf die irische Grafschaft Kerry.
Im KZ ermordet
Fritz wanderte mit seiner Frau und Erich 1905 in die USA aus, wo sie sich zunächst in Chicago niederließen. 1915 kam Kerrys Vater Richard zur Welt. Familienmitglieder, die in Österreich geblieben waren, wurden von den Nazis in den KZ Treblinka und Theresienstadt ermordet.
John Kerry selbst erfuhr erst im Laufe des Präsidentschaftswahlkampfes 2004 – er unterlag damals Amtsinhaber George W. Bush – die Geschichte seiner Ahnen. Er hatte zuvor weder den Geburtsort noch den ursprünglichen Namen und die Religion seines Großvaters gekannt. Kerry hatte lange Zeit an irische Vorfahren geglaubt.
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