Joe Biden macht es offiziell: Er tritt gegen Trump an
Er ist spät dran. So spät, dass von der Gegenseite bereits vergiftetes Lob kommt. Joe Biden, ätzte der rechtspopulistische Radio-Star Rush Limbaugh am Mittwoch, sei 2020 gewiss die beste Chance für die Demokraten, um gegen Amtsinhaber Donald Trump zu bestehen. Leider werde der am Wahltag 77 Jahre alte Polit-„Brontosaurus“ aber schon in den parteiinternen Vorwahlen Anfang nächsten Jahres mangels progressivem Linksdrall aussortiert. Diesen verkörperten viele seiner Konkurrenten und Konkurrentinnen von Elizabeth Warren über Bernie Sanders bis zum jungen Shooting-Star Pete Buttigieg.
Limbaughs Befund mag verfrüht und gehässig sein. Hinter vorgehaltener Hand teilen gleichwohl demokratische Funktionäre die Befürchtungen: „Der heutige Tag“, sagte ein Parteivertreter dem KURIER, „könnte für lange Zeit Bidens bester werden. Danach wartet eine Schlacht, bei der er nur noch bergauf kämpfen muss.“
Mit einem Video, dem nach Angaben von Vertrauten am Montag ein erster Live-Auftritt vor Gewerkschaftern in Pittsburgh in seinem Geburts-Bundesstaat Pennsylvania folgen soll, steigt das politische Urgestein heute, Donnerstag, offiziell in das Schaulaufen um das erst in 15 Monaten beim Parteitag in Milwaukee zu vergebene Präsidentschaftsticket ein. Auf Twitter schrieb Biden: "Die zentralen Werte dieser Nation ... unsere Stellung in der Welt ... sogar unsere Demokratie ... Alles, das Amerika zu dem gemacht hat, was es ist, steht auf dem Spiel."
Dritte Kandidatur
Dem mittig verorteten Vizepräsidenten von Barack Obama wird zugetraut, vor allem Wähler aus der Arbeiterklasse in von Trump 2016 eroberten Rostgürtel-Bundesstaaten wie Wisconsin, Michigan, Ohio oder eben Pennsylvania zurückzuholen.
Seit Biden mit seiner dritten Kandidatur (nach 1988 und 2008) liebäugelt, liegt er in Umfragen klar vor den mittlerweile rund 20 Alternativen.
Seine versöhnende Strahlkraft bis in konservative Kreise – Biden lehnt die derzeit heftig propagierte staatliche Rundum-Gesundheitsversorgung ab – könnte vor allem moderate Wähler beeindrucken, die Trump als Spalter und Hetzer ablehnen, nicht aber komplett seine Politik.
Nur, wie belastbar ist der Vertrauensvorschuss?
Dass sein Name in nahezu jedem US-Haushalt bekannt ist – Biden wurde zu Kanzlerzeiten Bruno Kreiskys zum ersten Mal Senator –, ist ein zweischneidiges Schwert.
No-Gos und #MeToo
Der 76-Jährige bringt so viel politisches Gepäck mit, dass die Gegenseite für die typischerweise verleumderischen TV-Spots im Wahlkampf nur in die Archive greifen muss. Zwei Beispiele: 1975 lehnte Biden Maßnahmen zur Aufhebung der Rassentrennung an Schulen ab. Er fühle sich nicht verantwortlich „für die Sünden meines Vaters und meines Großvaters“, sagte er – heutzutage ein No-Go.
Als Vorsitzender des Justizausschusses spielte Biden bei der Anhörung von Anita Hill eine dubiose Rolle, die den noch heute amtierenden schwarzen Bundesrichter Clarence Thomas der sexuellen Belästigung beschuldigte – im Zeitalter von #MeToo eine heikle Altlast.
Biden bekam das jüngst zu spüren, als Frauen an die Öffentlichkeit traten und zurückliegendes Eindringen in ihre Privatsphäre beklagten. Einmal ging es um einen Hinterkopf-Kuss. Das andere Mal soll Biden im Eskimo-Stil seine Nase an einer (weiblichen) anderen gerieben haben. Der für nett gemeinte Umarmungen bekannte elder statesman sah sich zur Klarstellung gezwungen: „Ich werde in Zukunft aufmerksamer sein, wenn es darum geht, den persönlichen Raum zu respektieren.“
„Mittelschichts-Joe“
Ob Joe Biden seine Stärke, das Image des erfahrenen, international geschätzten Polit-Routiniers in den nächsten Monaten ausspielen kann, ist offen. In der demokratischen Partei haben progressive, semi-sozialistische, auf Umverteilung setzende Entwürfe Konjunktur – und junge Aspiranten wie Pete Buttigieg (37), der Bidens Sohn sein könnte.
„Die Aussicht auf eine Fortsetzung der Obama-Ära mit geringfügig neu akzentuierten Mitteln reißt die Wähler nicht mit“, sagen Analysten in Washington. Zudem drängt die Zeit. Bernie Sanders, der anderer Oldie (77) im Wettbewerb, verfügt bereits über 35 Millionen Dollar in der Wahlkampfkasse. Löwenanteil: Kleinspender.
Biden war nie ein großer Graswurzelbewegungs-Typ. Um auf die veranschlagten 100 Millionen Dollar zu kommen, die ein aussichtsreicher Kandidat vor den im Februar 2020 beginnenden Vorwahlen in Iowa und New Hampshire vorweisen sollte, könnte Biden auf die bei Parteilinken verhassten Großspender angewiesen sein. Sein Image als bodenständiger „Mittelschichts-Joe“ wäre beschädigt.
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