Jerusalemer Tempelberg: Riskantes Zündeln im Heiligtum

Drei Tote und 400 Verletzte in Jerusalem und im Westjordanland
Die Gewalt eskalierte am Freitag und wird von beiden Seiten angeheizt.

Vor der Sperre halten alle an. Vor den vier Türrahmen der neuen Metalldetektoren drängen sich die Menschen in dichten Reihen auf der steil ansteigenden Straße, die zum Löwen-Tor in der Jerusalemer Altstadtmauer führt. Sie wollen zum Gebet in der Al-Aksa-Moschee, sich dafür aber nicht elektronisch scannen lassen. "Das ist eine Demütigung", brüllt Mustafa aus der ersten Reihe dem vor ihm stehenden Polizisten ins Gesicht," die Moscheen gehören uns." Der Polizist ist ein Druse aus Israels Norden, der die arabischen Beschimpfungen genau versteht. Und ungerührt bleibt. Ruhe bewahren, lautet die Devise.

Doch die hält nicht: Es kommt zu massiven Ausschreitungen. In Jerusalem und dem Westjordanland werden drei Menschen getötet, mehr als 400 verletzt.

Die Eskalation erfolgt genau eine Woche, nachdem drei Angreifer mit Schusswaffen gleich hinter dem Löwen-Tor zwei Polizisten getötet hatten. Danach flüchteten sie zurück in das abgesperrte Gelände mit den Moscheen und dem Felsendom mit seiner goldenen Kuppel. Hier wurden sie von verfolgenden Polizisten in einem Schusswechsel getötet.

Neue Gewalt-Dimension

Gewalt ist in der Altstadt Jerusalems nicht neu. Neu an diesem Angriff war aber einiges: Die bewaffneten Angreifer kamen aus dem abgesicherten Moscheen-Komplex. Sie stammten nicht aus dem besetzten Westjordanland, sondern waren israelische Staatsbürger. Wie die getöteten drusischen Polizisten.

Israels Regierung sperrte die Moscheen zwei Tage ab. Für moslemische Gläubige wie für christliche Pilger und jüdische Besucher. Allen ist dieser Berg heilig. Erst nach Aufstellung von Metall-Scannern an den Eingängen wurden diese letzten Sonntag wieder geöffnet. Wie immer war die Maßnahme richtig – und falsch.

Experten sahen die Maßnahmen als voreilig an. Sowohl Sperre wie Kontroll-Mechanismen wären mit der jordanischen Regierung zu vereinbaren gewesen. "So aber war alles einseitig", kritisiert Jaakov Peri, heute Abgeordneter der Opposition, früher Geheimdienstchef.

Es ging nicht mehr um Scanner, wie sie auch in Mekka, im Vatikan und an der Klagemauer stehen. Es geht um die Oberhoheit in der heiligsten Stadt der Welt. Die liegt letztlich bei Israel. An den Heiligen Stätten Jerusalems aber war sie immer umstritten und heikel. Eingebettet in einen uralten Status quo, der seit Jahrhunderten dafür sorgt, Lunten vom Pulverfass aus Moscheen, Kirchen und Synagogen fernzuhalten. Nach der Eroberung der Heiligen Stätten 1967 überließ die israelische Armee die Verwaltung des Tempelbergs den jordanischen Moscheebehörden.

Radikale Stimmen

Während die Regierungen sich letzte Woche in Jerusalem, Ramallah und Amman um Ruhe bemühten, schürten religiöse Kräfte Feuer. Nicht ohne Erfolg: Immer wieder flackerten Unruhen auf. Am Freitag rief Ismail Haniyeh, Chef der militanten Hamas im Gazastreifen, zur Gewalt auf: "Auf Al-Aksa werden wir Muslime nie verzichten."

Haniyeh könnte jederzeit Israel mit Raketen beschießen. Würde damit aber israelische Gegenangriffe auslösen. Ein Ausbruch spontaner Proteste in den Straßen Jerusalems jedoch bliebe ein inner-israelisches Polizeiproblem. So kommen auch die gewaltbereiten Kräfte auf dem Tempelberg in den letzten Jahren meist nicht aus den besetzten Gebieten, sondern aus Israel. Feuer schürte aber auch Uri Ariel, Abgeordneter der Siedlerpartei "Jüdisches Zuhause": "Jetzt dem Druck nachgeben, wäre der Verzicht auf unsere Oberhoheit."

Und doch: Die Zahl der Protest-Beter war am Freitag eher weniger als an anderen Freitagen. Wo Zigtausende hätten stehen können, drängten sich Tausende. Die Polizei war bemüht, keine scharfen Waffen einzusetzen. Es war ein Siedler im Ras al-Amud-Viertel, der auf einen Demonstranten schoss und ihn tötete. Selbst nach diesem blutigen Zwischenfall und einem weiteren Toten in A-Tur blieb die Gewalt auf wenige Stellen in der Stadt beschränkt.

Mustafa vom Löwen-Tor rollt gleich nach dem Gebet am Löwen-Tor seinen Teppich auf und geht nach Hause. "Wo bleibt die arabische Welt?" sagt er: "Wir Palästinenser stehen wieder einmal alleine da."

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