Vom Schengen-Vertrag für grenzenloses Reisen über die Gründung des Erasmus-Programms, der Millionen Studenten Austauscherfahrungen ermöglicht hat, bis hin zum massiven Ausbau eines gemeinsamen Marktes fielen in seiner Zeit eine Reihe Schlüssel-Entscheidungen.
„Ist es vermessen, den Beschluss anzukündigen und dann auch durchzuführen, bis 1992 alle innergemeinschaftlichen Grenzen aufzuheben?“, mit dieser Frage begann er im Januar 1985 seine Arbeit als Kommissionspräsident der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG).
Keine Personen- und Warenkontrollen mehr an den EG-Binnengrenzen, Abbau von Handelshemmnissen und steuerlichen Schranken – Delors setzte seine Ziele um, wenn es ihm auch nicht gelang, die Währungs- mit einer Wirtschaftsunion zu vervollständigen. Das hat er stets beklagt.
Minister bei Mitterand
Eine politische Karriere war ihm nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Dorthin kam er durch sein Engagement in einer Arbeitergewerkschaft.
Geboren wurde Delors in Paris als Sohn eines Kassierers bei der französischen Zentralbank Banque de France, wo auch er nach einem Jurastudium und dem Besuch einer höheren Bankenschule zu arbeiten anfing und dort rasch aufstieg bis zum stellvertretenden Direktor.
Sein Eintritt in die Politik erfolgte 1962 über das Generalkommissariat für Planung, später wurde er Berater für berufliche Bildung des damaligen französischen Premierminister Jacques Chaban-Delmas und 1979 EU-Abgeordneter. 1981 machte ihn der sozialistische Präsident François Mitterrand zum Wirtschafts- und Finanzminister.
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Drei Jahre später folgte die Ernennung zum Kommissionspräsidenten. Die EG zählte erst zehn Mitglieder, 1986 kamen mit Spanien und Portugal zwei weitere hinzu. Auch wurde unter Delors der Maastricht-Vertrag ausgearbeitet und eben der Weg hin zum Euro bereitet:
Die gemeinsame Währung, so seine Überzeugung, werde das europäische Volk vereinen. Auch der deutschen Wiedervereinigung stand Delors positiv gegenüber und sagte, sie und die europäische Integration seien „die beiden Seiten einer selben Medaille“.
Österreichs EU-Beitritt
In die Amtszeit von Delors fiel auch die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) mit den EFTA-Staaten (darunter Österreich) im Jahr 1994 sowie der österreichische EU-Beitritt im Jahr 1995.
Für Überraschung und auch Enttäuschung sorgte der damals 70-Jährige, als er am Ende seiner Amtszeit an der Spitze der EU-Kommission erklärte, er werde nicht als Kandidat der französischen Sozialisten bei der Präsidentschaftswahl 1995 antreten.
Seine Entscheidung rechtfertigte er mit persönlichen Gründen, seinem Alter und voraussichtlich fehlenden Mehrheiten. Damit enttäuschte er viele. Als Jahre später seine Tochter Martine Aubry, die zeitweise Sozialistenchefin war, mit einer eigenen Kandidatur zögerte, kam der Vorwurf auf, sie ducke sich weg wie schon ihr Vater. 2012 versuchte es Aubry doch, unterlag in innerparteilichen Vorwahlen jedoch François Hollande.
Delors saß nach Beendigung seiner politischen Karriere im Verwaltungsrat des Europakollegs in Brügge und gründete seinen Verein „Unser Europa – Institut Jacques Delors““. Immer wieder meldete er sich zu Wort, um für den Kampf gegen den Klimawandel, für nachhaltiges Wirtschaften und gegen wachsende Ungerechtigkeiten einzutreten. Und bis zuletzt war er auch ein engagierter Mahner für ein geeinigt zusammenstehendes Europa.
Er trieb die Integration voran
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) würdigte Delors als „großen Europäer“. „Er hat wie kein anderer in seiner zehnjährigen Tätigkeit als EU-Kommissionspräsident die europäische Integration geprägt und wichtige Meilensteine, wie u.a. den Binnenmarkt und die Währungsunion auf den Weg gebracht. Sein Erbe lebt weiter“, teilte Edtstadler der APA mit.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen bezeichnete Delors als „wichtige(n) Baumeister des geeinten Europas“. „Wie kaum ein anderer hat er die Entwicklung der europäische Integration beeinflusst und mit dem Binnenmarkt eine verbindende Klammer für die europäische Staatengemeinschaft geschaffen“, schrieb Van der Bellen im Netzwerk X.
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