Italien und das Coronavirus: Plötzlich gibt es keinen Alltag mehr

Italien und das Coronavirus: Plötzlich gibt es keinen Alltag mehr
Kein Espresso mehr, ein Meter Abstand, Masken im Supermarkt: In Italien ändert sich gerade alles.

Die Coronavirus-Pandemie und die Quarantäne mit kompletter Schließung von Geschäften, Restaurants und Lokalen zwingen die Italiener zu einer schmerzhaften Änderung ihres Lebensstils. Das beliebte Ritual des Cappuccino mit knusprigem Kipferl oder Espresso im Stehen an der Bar gibt es derzeit in Italien nicht. Alle Kaffeehäuser sind seit Donnerstag geschlossen.

„Das größte Problem heute ist: Wie beschaffe ich mir meinen täglichen Cappuccino?“, fragte eine Userin in sozialen Medien. Kunden stürmten die Supermärkte, die weiterhin offen halten dürfen, um sich mit Kaffee und Cappuccino in Pulverform einzudecken - allerdings auch nicht wirklich ein guter Ersatz für die koffeinabhängigen Italiener. Vor den wenigen Kaffeeautomaten in den Supermärkten bildeten sich trotzdem Schlangen.

Italien und das Coronavirus: Plötzlich gibt es keinen Alltag mehr

Polizei kontrolliert Sperren

Im Zentrum von Rom hielten sich alle Bars strikt an die Sperre. Die Polizei kontrollierte aufs Genaueste, ob alle Lokale verriegelt und verschlossen sind. Die wenigen Fußgänger in der Innenstadt huschten mit gesenktem Kopf durch die Straßen, um nicht von der Polizei aufgehalten und befragt zu werden, weshalb man nicht zu Hause geblieben ist. Nur um den Arbeitsplatz zu erreichen, durfte man sich auf der Straße aufhalten.

In Neapel war das traditionsreiche „Caffé Gambrinus“ versperrt, die raffinierten Schokoladenkreationen und die exquisite neapolitanische Patisserie konnte nur durch Schaufenster betrachtet werden. Die Coronavirus-Pandemie hatte das Café im Stil der „Belle Époque“, das auf 150 Jahre Geschichte zurückblickt und zu den berühmtesten Kaffeehäusern Italiens zählt, zur Schließung gezwungen. Nicht einmal das Lachen und Schreien von Kindern, die sich normalerweise auf dem Gelände der Liberty-Galerie Umberto versammeln, um Fußball zu spielen, waren in der sonst so chaotischen Vesuvstadt zu vernehmen. Geschlossen waren auch alle Fastfood- und Souvenirläden.

Italien und das Coronavirus: Plötzlich gibt es keinen Alltag mehr

Der Markusplatz in Venedig

Gespenstische Leere

Der tägliche Lebensrhythmus der Italiener, so lebhaft und auf Schnelligkeit ausgerichtet, erfährt nun ein deutliches Slow-down. Das ist ungewohnt und nicht leicht zu akzeptieren. Gespenstisch leer erwachte am Donnerstag auch Venedig. Der einstige Tummelplatz für Ausländer aus aller Welt und Lieblingsziel des Kreuzfahrttourismus war praktisch zum Erliegen gekommen. Auch das traditionsreiche Café Florian auf dem Markusplatz, Treffpunkt des internationalen Jetsets und ehemals von Größen wie Richard Wagner, Thomas Mann und Ernest Hemingway, konnte seine Pforten für die Gäste nicht öffnen.

Ebenso sind die berühmten Kaffeehäuser in Triest im habsburgischen Stil geschlossen. Schluss mit Zeitunglesen im vornehm gedämpften Ambiente. Nur wenige Leute trauten sich auf die Piazza dell ́Unitá, um das Meer an dem frischen Sonnentag zu bewundern.

Ein Meter Distanz

Während der Handel ganz zum Erliegen kam, wurden Supermärkte jetzt zum Magneten für verunsicherte Bürger, die aus Angst vor Engpässen bei der Lebensmittellieferung massiv Konserven, Pasta und andere länger haltbare Lebensmittel kauften. Mitarbeiter der großen Supermarktketten hatten alle Hände voll zu tun. Mit ihren überdimensionalen Gesichtsmasken achteten sie streng auf die Einhaltung des Ein-Meter-Abstands zwischen den Kunden vor den Kassen.

„Wir sind schon seit Wochen an vorderster Front“, klagte eine erschöpfte Kassierin unter ihrer Atemschutzmaske. „Jetzt, wo alle anderen Geschäfte geschlossen sind, werden wir es noch schwerer haben“. Auch an strenge Desinfektionsmaßnahmen müssen sich die Supermärkte halten. „Das schwierigste ist, Menschenansammlungen zu vermeiden. Viele Kunden halten sich einfach nicht an die Vorschriften“, sagte die Frau.

"Normalisierung nicht vor Sommer"

Laut Walter Ricciardi, Berater des Gesundheitsministeriums in Rom und Ex-Direktor des italienischen Gesundheitsinstituts ISS, wird es trotz der von der Regierung beschlossenen Quarantäne nicht vor Sommer zu einer Normalisierung im Alltag kommen.

„Wir werden mindestens zwei Wochen lang warten müssen, bis es zu einem Rückgang bei den Infektionsfällen kommt. Diese Woche wird die Zahl der Infektionen noch wachsen, und in der nächsten werden sie sich stabilisieren. Die Infektionsfälle werden inzwischen in den anderen Ländern wachsen“, sagte Ricciardi im Interview mit dem TV-Sender „RAI 3“.

Der Experte urgierte seine Landsleute, zu Hause zu bleiben und sich strikt an die Vorsichtsmaßnahmen zu halten. „Das ist eine kategorische Pflicht, die jeder respektieren muss“, sagte Riccardi. Hoffnung gibt es dank Experimenten in Neapel mit einem Medikament für rheumatoide Arthritis, das bisher in China im Kampf gegen Coronavirus Resultate gezeigt habe. „Wir müssen aber noch viele Menschen testen, um festzustellen, ob dieses Medikament wirklich wirkt“, so Riccardi.

Der Experte warnte vor der Ausbreitung der Epidemie in Großstädten wie Rom und Neapel. Hier hätten die Bürger die Infektionsgefahr unterschätzt und die sozialen Kontakte erst wirklich seit wenigen Tagen streng reduziert.

Kommentare