Renzi will der Retter der EU sein

Linker Regierungschef will Kurswechsel, Ende der Sparpolitik und neue Einwanderungsregeln.

Die skandalöse Niederlage der Squadra Azzurra gegen Uruguay mit kannibalischem Schulterbiss ist noch nicht vergessen, die WM für Italien vorbei, doch jetzt konzentriert sich das Land nicht mehr auf Fußball, sondern auf Politik. Italien übernimmt am Dienstag für sechs Monate die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union.

Regierungschef Matteo Renzi gilt nach seinem großen Erfolg bei der EU-Wahl im Mai als neuer Polit-Star in der EU. Italiens Sozialdemokraten haben mit 31 Europa-Abgeordneten mehr als Deutschland (27) oder Frankreich (13), Gianni Pittella wird Chef der Sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament.

Matteo, der Verschrotter:

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Italy's Prime Minister Renzi gestures during a new
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File photo of Italy's centre-left Democratic Party
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File photo of Italian PD leader Bersani reacting a
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File photo of centre-left leader Renzi attending a
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File photo of centre-left leader Renzi attending a
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File photo of Italian Prime Minister Letta at Vill
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Italy's Prime Minister Renzi reacts during a confi
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ITALY EASTER TOURISM
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Leader of Forza Italia party Berlusconi arrives to
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Italian Prime Minister Matteo Renzi arrives to att
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Italy's PD leader Renzi gestures as he appears as
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Italy's Prime Minister Renzi's wife Agnese listens
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ITALY GOVERNMENT EDUCATION

Gestärkt nach einem Match mit Angela Merkel über eine Neu-Interpretation des Stabilitätspaktes beim EU-Gipfel vergangene Woche in Brüssel will Renzi als Ratspräsident für einen Kurswechsel in der EU kämpfen. Er leugnet nicht, dass Deutschlands Reformen für ihn ein Vorbild sind, nur "nach Merkels Kommando will er nicht tanzen", schreibt die Mailänder Zeitung Corriere della Sera.

Ambitionierte Agenda

Wachstum und Beschäftigung sind seine obersten Prioritäten. Renzi weiß, dass Arbeitsplätze nicht vom Himmel fallen, seine Hoffnungen setzt er in intelligente Investitionen und die digitale Wirtschaft, deren Ausbau neue Jobs kreieren soll. Am 9. Juli gibt es dazu eine Konferenz in Venedig, am 11. Juli einen Beschäftigungsgipfel in Turin, wo der Premier die österreichische duale Lehrlingsausbildung als Modell vorstellen und den Südländern empfehlen will.

Das zweite große Projekt Renzis ist die Außenpolitik und ein EU-Asien-Gipfel im Herbst in Mailand, wo auch die Expo 2015 stattfinden wird. Ukraine und die fragilen Beziehungen der EU zu Russland werden die Diplomaten ebenso beschäftigen wie die Erweiterung um die Balkan-Länder und die Politik gegenüber Nordafrika.

Teil der außenpolitischen Strategie ist die Energie-Versorgung und die Förderung alternativer Energiequellen. Großen Ehrgeiz hat Renzi, seine Vertraute, Außenministerin Federica Mogherini, als Hohe Beauftragte der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik zu installieren.

Genug hat Italien von den verbalen Versprechen, die Flüchtlingspolitik zu reformieren. Die humanitäre Katastrophe auf Lampedusa, als im Oktober 2013 360 Menschen – vorwiegend aus Afrika – ertranken, ist "eine Schande für die EU", heißt es im Kabinett von Renzi. Italien verlangt von seinen EU-Partnern neue Regeln für die Einwanderung: Fairer Lastenausgleich, schnellere Aufnahmen von Migranten und neue Nachbarschaftsbeziehungen zu Afrika.

Krawatte ist sexy

Wenn Ministerpräsident Renzi am Mittwoch das Arbeitsprogramm der italienischen Präsidentschaft im EU-Parlament in Straßburg vorstellen und mit den Abgeordneten diskutieren wird, dann empfiehlt ihm Stardesigner Giorgio Armani, auf seine Kleidung zu achten. Der 39-Jährige tritt am liebsten im weißen Hemd mit offenem Kragen auf. Doch das findet Armani zu wenig chic. Der Ratschlag des Mailänder Modezars: Unbedingt zum weißen Hemd eine Krawatte tragen, so wie Obama. "Das hat einen sexy Touch."

Nicht nur auf dem EU-Parkett ist Total-Einsatz von Italiens sozialdemokratischem Premierminister gefragt, auch innenpolitisch steht ein arbeitsintensiver Sommer bevor: Senatsreform, Wahlrechtsreform, Justizreform, Steuerpolitik und der "Jobs Act" – die Erschaffung von Arbeitsplätzen – müssen in Angriff genommen werden.

Zu Amtsantritt hat der 39-jährige Regierungschef eine Reform pro Monat angekündigt. 133 Tage danach ist das Ergebnis im Vergleich mager: Abgesehen von einer nur zum Teil realisierten Arbeitsmarktreform und 80 Euro Bonuszahlung für Niedrigverdiener konnte Renzi bisher noch wenig Konkretes umsetzen.

"Europa schaut aber auf konkrete Fakten und nicht auf gute Vorgaben und noch weniger auf richtige, aber noch unwirksame Gesetze", ätzte der ehemalige Premier und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi gegenüber der renommierten Zeitung La Repubblica. Renzis größte Hürde sei, so weiß Prodi aus eigener Erfahrung, der Kampf gegen die italienische Bürokratie. Hinzu kommen mächtige Lobbys und Interessensvertretungen sowie unberechenbare Berlusconi-Parlamentarier, die bei Justizfragen nur im Sinne des Cavaliere handeln. So gehört die Justizreform zu einem der heikelsten Punkte in Renzis Regierungsprogramm.

Die Zeit drängt, noch vor dem bevorstehenden Urteil im Ruby-Prozess – es wird Mitte bis Ende Juli erwartet – sollen wichtige Teile der Justizreform auf Schiene gebracht werden.

Baustelle Justizsystem

Zivile Haftbarkeit der Richter, Maßnahmen zum Abbau von neun Millionen anhängigen Verfahren im Bereich der Zivil- und Strafjustiz, sowie Einschränkung illegaler Telefonabhörungen zählen zu den geplanten Maßnahmen. Das Vergehen der Bilanzfälschung, das von der Regierung Berlusconi kurzerhand aus dem italienischen Strafbuch gestrichen wurde, soll wieder mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Die Strafen für Geldwäsche sowie Mafia-Verwicklungen sollen ebenfalls erhöht werden.

Bei dem neuen Wahlgesetz steht die nächste Verhandlungsrunde an. Nach einem überraschenden Einlenken der Fünf-Sterne-Bewegung wird nun mit Grillo-Parlamentariern über die Umsetzung eines neuen Wahlmodells diskutiert, das stabilere Mehrheiten im Parlament garantieren soll.

Gestern, Montag, fiel der Startschuss zur Senatsreform, einem politisch wichtigen Vorhaben. Der Einfluss des kostenintensiven Senats soll eingeschränkt werden. Gesetze sollen künftig nur mehr in der Abgeordnetenkammer und nicht mehr wie bisher in beiden Kammern verabschiedet werden.

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