Enrico Letta soll das Wunder schaffen

epa03600897 Vice secretary of Democratic Party, Enrico Letta, speaks to media during his press conference at Architecture's House in Rome, 25 February 2013. The threat of a hung parliament and political instability weighed on the eurozone's third-largest economy on Monday, after preliminary vote counts indicated that Italy's general elections had failed to deliver a clear winner. According to projections by RAI state television, the centre-left was poised to win 29.1 per cent of the votes in the Chamber of Deputies, the lower house of parliament, against 28.6 per cent for the conservatives led by former premier Silvio Berlusconi. EPA/ETTORE FERRARI
Regierungskrise: Der 46-jährige Vize-Chef der linken PD erhielt den Auftrag zur Bildung eines Kabinetts.

Nach zweimonatiger Wartepause steuert Italien nun im Eiltempo auf eine neue Regierung zu. Nach Blitz-Konsultationen hat Staatspräsident Giorgio Napolitano gestern Enrico Letta als neuen Premier mit der Regierungsbildung beauftragt.

„Ich war selbst überrascht, als ich in der Früh den Anruf des Staatspräsidenten bekam“, erklärte Linkspolitiker Letta, der mit seinem Privatauto in den Quirinalspalast fuhr. Die Verantwortung dieser schwierigen und fragilen Situation laste schwer auf seinen Schultern. Der bisherige Vizechef der Demokratischen Partei (PD) wird sich sofort mit allen politischen Parteien beraten. Als Priorität seiner möglichen Regierung, die nicht „um jeden Preis“ entstehen wird, nannte er den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Auch wolle er daran arbeiten, dass die Politik wieder an Glaubwürdigkeit gewinne. Als Vize-Premier könnte Letta, so Spekulationen, dem Chef der Berlusconi-Partei, Angelino Alfano, zur Seite stehen.

Napolitanos Bedingung

Nach dem Rücktritt des PD-Chefs Pier Luigi Bersani, der eine Zusammenarbeit mit Ex-Premier Berlusconi stets vehement ausschloss, öffnete sich ein neues Fenster. Nach Bersanis Abgang ist der Weg für jenen PD-Flügel frei, der mit Berlusconi keine Berührungsängste hat. Außerdem stellte Napolitano die Bedingung, bevor er einer zweiten Amtszeit überhaupt zustimmte, dass es zu einer Mehrparteien-Regierung kommt. Daher wird mit einer großen Koalition, bestehend aus PD, Berlusconis Mitte-Rechts-Allianz sowie dem Zentrumsblock von Mario Monti gerechnet.

Der 47-jährige Letta ist trotz seines für italienische Verhältnisse jungen Alters ein „alter Hase“ auf dem Politparkett. Der Jurist war bereits Europaminister und Industrieminister und mit 32 Jahren der jüngste Minister Italiens. 2006 wurde er vom damaligen Premier Romano Prodi zum Staatssekretär bestellt. Der Vater dreier Kinder studierte Jus in seiner toskanischen Heimatstadt Pisa. Sein Onkel ist Gianni Letta, ein enger Berlusconi-Vertrauter und Vertreter des gegnerischen Mitte-Rechts-Lagers. Als eine weitere Verbindung zu den Rechten gilt seine Anhängerschaft des AC Mailand, dem Fußballclub des Berlusconi-Clans.

Letta, der noch vor zwei Tagen seine Chancen auf den Posten des Premiers als „Lügenmärchen“ abgetan hatte, gilt als Mann des Dialogs. Der Neo-Premier genießt auch international einen guten Ruf.

In seiner ersten Rede nach der Ernennung sprach sich der Europa-Experte gegen das von Brüssel verordnete Austeritätsprogramm aus, da es nicht den erwarteten Erfolg gebracht habe. Europa müsse die Sparpolitik auflockern und Ressourcen für Wachstum bereitstellen. Italien brauche ein neues Wahlgesetz, die Zahl der Parlamentarier müsse reduziert werden, um Politausgaben zu sparen.

„Die Italiener interessiert vor allem, was mit der Immobiliensteuer passiert, die in 40 Tagen wieder fällig ist und auch welche weiteren Steuern in Kürze eingehoben werden. Darauf will ich von Letta eine konkrete Antwort“, kommentierte ein Berlusconi-Anhänger.

Enrico Letta soll das Wunder schaffen
Zeitleiste mit bisherigen Premiers mit Amtszeit und Parteizugehörigkeit Grafik 0559-13-Italien.ai, Format 88 x 60 mm bzw. 88 x 102 mm (mit Entwicklung der Verschuldung)

Der Gründer der Fünf-Sterne-Protestbewegung (M5S), Beppe Grillo, wollte die Niederlage bei den Regionalwahlen in Friaul Julisch-Venetien nicht eingestehen. Ungeachtet, dass der M5S-Kandidat Saverio Gallucci, nur 19,4 Prozent der Stimmen schaffte, twitterte der Komiker von einem „Erfolg“.

Der dritte Platz hinter der Demokratischen Partei (PD) und der Mitte-Rechts-Allianz von Berlusconi ist eine klare Wahlschlappe für die Protestbewegung. Grillo persönlich war auf Stimmenfang tagelang per Wohnmobil und Boot durch die norditalienische Region an der Grenze zu Kärnten getourt. „Friaul wird die ersten Fünf-Sterne-Region Italiens sein, und nichts kann uns mehr aufhalten“, hatte Grillo vollmundig versprochen. Bei den Parlamentswahlen im Februar hatte Grillos Fünf-Sterne-Protestbewegung immerhin noch 25 Prozent der Stimmen gewonnen.

Wahlsiegerin ist PD-Politikerin Debora Serracchiani (39,4 Prozent). Die 42-jährige EU-Parlamentarierin und Rechtsanwältin gilt unter anderem wegen ihres Einsatzes für mehr Transparenz und Reduktion der Politkosten als Hoffnungsträgerin in der PD.

Doch auch ihr Sieg täuschte nicht darüber hinweg, dass die Italiener vor allem wahl- und politikmüde sind. Mit 50,05 Prozent wurde an den beiden Wahltagen die niedrigste Wahlbeteiligung aller Zeiten bei einem Urnengang in Italien verzeichnet.

Gewissenhaft, zuverlässig und wortkarg: Auf den Schultern des 46-jährigen Vize-Chefs der Demokratischen Partei (PD), Enrico Letta, lastet die Verantwortung, Italien nach zwei Monaten politischer Blockade endlich eine tragfähige Regierung zu sichern. Trotz seines für die italienische Politik jungen Alters kann der großgewachsene und kahlköpfige Letta auf eine lange Erfahrung zurückblicken. Niemand kennt wie er die komplizierten Machtverhältnisse der italienischen Linken. Mit Gespür und Geschick hat sich Letta als Minister und im EU-Parlament den Ruf eines zuverlässigen Reformers verdient.

Der 1966 in Pisa geborene Letta hat nach dem Studium der Politikwissenschaften mit einer Forschungsarbeit zum Europarecht promoviert. Von 1991 bis 1995 war er Vorsitzender der Jugendorganisation der Europäischen Volkspartei und danach Generalsekretär des Euro-Ausschusses im italienischen Haushaltsministerium. 1997 rückte er zum stellvertretenden Vorsitzenden des "Partito Popolare Italiano" (PPI) auf, der aus der Asche der aufgelösten Democrazia Cristana entstanden war. Im Alter von 32 Jahren wurde Letta 1998 zum Europaminister in der Regierung von Massimo D'Alema ernannt. Er rückte somit zum jüngsten Minister in der republikanischen Geschichte Italiens auf. Zwischen 1999 und 2001 amtierte er dann als Industrieminister.

Bei den Europawahlen 2004 wurde er auf der Liste des Mitte-links-Bündnisses "Ulivo" um den damaligen EU-Kommissionschef Romano Prodi ins Europäische Parlament gewählt, dem Letta bis 2006 angehörte. Zudem war er dort im Ausschuss für Wirtschaft und Währung tätig. Seit Jahren zählt der mit einer Journalistin verheirateten Vater von drei Kindern zu den engsten Vertrauensleuten Prodis.

2006 zog Letta in die Abgeordnetenkammer ein und wurde im zweiten Kabinett um Romano Prodi zum Staatssekretär im Premierbüro ernannt. In dieser Funktion löste er seinen bekannten Onkel Gianni Letta ab, der dem gegnerischen Mitte-Rechts-Lager um Silvio Berlusconi angehört. 2007 gehörte Enrico Letta zu den Gründungsmitgliedern des aus Links- und Christdemokraten fusionierten Mitte-links-Partei "Partito Democratico" (PD). Seine Kandidatur für den Vorsitz der neuen Gruppierung wurde von namhaften Vertretern zentristischer Gruppierungen unterstützt, Letta erlag jedoch im Duell gegen den ehemaligen römischen Bürgermeister Walter Veltroni. Zwischen 2008 und 2009 amtierte Letta als für Arbeit- Gesundheit und Sozialpolitik zuständiger Minister in einer PD-Schattenregierung, die Opposition zur Regierung Berlusconi führte.

Jetzt steht Letta eine große Herausforderung bevor. Einerseits muss er die Grundlage für eine tragfähige Regierung schaffen, zugleich auch für den Neubeginn seiner Partei sorgen, die nach dem Rücktritt des Vorsitzenden Pierluigi Bersani am Samstag in eine tiefe Krise gestürzt ist. Nach Bersanis Demission ist die stärkste Einzelgruppierung im italienischen Parlament ein Scherbenhaufen. Interne Machtkämpfe, Konflikte um die Führungsstrategie und erbitterte Fehden unter Spitzenpolitikern rivalisierender Flügel haben kurz nach der Wiederwahl Napolitanos zur Demission des kompletten Frührungsgremiums geführt. Die Gruppierung muss jetzt neu aufgebaut werden. Keine einfache Aufgabe für Letta, der all sein Vermittlungstalent einsetzen muss, um den Zusammenhalt seiner Partei zu bewahren und seiner Regierung eine solide Zukunft zu sichern.

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