Dringend benötigte Maßnahme zur Sicherung der öffentlichen Ordnung oder doch ein empfindlicher Eingriff in die persönliche Freiheit der Bürger? Ein aktuelles Rundschreiben des Gouverneurs von Istanbul, Davut Gül, sorgt in der traditionell liberalen Metropole der Türkei für heftige Debatten.
"Frieden der Bevölkerung"
Der Inhalt: Ein Verbot des Konsums alkoholischer Getränke an allen öffentlichen Orten, also von Parks und Picknickplätzen bis zu den Bänken am Ufer des Bosporus. Anstatt ein neues Gesetz zu erlassen, begründet der Gouverneur sein Verbot kurzerhand mit bereits bestehenden Regeln: Da Menschen, die Alkohol konsumiert hätten, ständig die öffentliche Ordnung und „den Frieden der Bevölkerung“ störten, habe man sich entschlossen, den Konsum gleich ganz zu verbieten.
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Saftige Strafen
Wer trotzdem von der Polizei mit einem Bier auf der Straße erwischt wird, muss mit für türkische Verhältnisse saftigen Strafen von rund 30 Euro rechnen und kann auch „unter Kontrolle gehalten werden, bis der Rausch nachlässt“. Erlaubt ist der Konsum von Alkohol nur noch in Lokalen, die eine Lizenz dafür haben. Das Verbot gilt auch für ausländische Touristen.
Eingriff in Freiheiten
Was die Behörden aber als Maßnahme, um „Angst und Panik in unserer Bevölkerung zu vermeiden“, darstellen, nennen liberale Kritiker der Regierung einen Eingriff in die persönlichen Freiheiten – und der wäre, wenn überhaupt, nur durch ein eigens erlassenes Gesetz möglich. „Alkoholkonsum als Verhalten darzustellen, das die öffentliche Ordnung stört, bedeutet einen direkten Eingriff in den privaten Lebensbereich“, argumentieren etwa renommierte Juristen in regierungskritischen Medien. Dass der Gouverneur festlege, was und wo Bürger trinken dürften, sei eine Einschränkung von Grundrechten und Freiheiten.
Das Büro des Gouverneurs versucht zu beruhigen: „Unser Problem ist nicht der Bürger, der in den Park geht und zwei Bier trinkt“. Es gehe um die „Störung der Umwelt durch Trunkenheit.“
Für die Gegner aber steht fest, dass es der Regierung auch diesmal nur um den grundsätzlichen Kampf gegen den Alkohol gehe. Schließlich sei der nach den Regeln des Islam „haram“, also „unrechtmäßig“.
Kampf gegen Alkohol
Tatsächlich ist die aktuelle Entscheidung nur die jüngste in einer Reihe von Maßnahmen der Regierung zur Begrenzung des Alkoholkonsums in der Türkei.
Seit Jahren gilt in Geschäften ein Verkaufsverbot für alkoholische Getränke nach 22 Uhr. Erst Anfang dieses Jahres erhöhte man die Strafen für Verstöße gegen diese Regelung drastisch.
Hohe Steuern
In den vergangenen Jahren wurden auch die Steuern auf alkoholische Getränke deutlich angehoben. Mehr als 60 Prozent des Einzelhandelspreises von stark alkoholischen Getränken wie Wodka, Gin oder des traditionell bei Feierlichkeiten konsumierten Raki sind Steuern; bei Bier sind es immerhin noch 55 Prozent. Auch die Werbung für alkoholische Getränke in Schaufenstern ist illegal. Grund genug für viele liberale Türken, der Regierung einen religiös motivierten Kreuzzug gegen den Alkohol zu unterstellen, wie einer von ihnen auf Plattform X scherzt: „Bald werden sie uns auch zu Hause das Trinken verbieten.“
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