Trotz massiver Proteste: Israel bringt umstrittene Justizreform auf den Weg
Vor der Knesset, dem israelischen Parlament in Jerusalem, kam es am Montag zu tumultartigen Szenen: Gegner der geplanten Justizreform protestierten direkt am Eingang lautstark. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, mehrere Menschen wurden festgenommen.
Nicht minder aufgeladen war die Stimmung drinnen: Die Opposition forderte die rechtsreligiöse Regierung von Premier Benjamin Netanjahu eindringlich auf, auf die geplanten Neuerungen zu verzichten. Doch die Koalition blieb auf Kurs, 64 ihrer Abgeordneten (in der Knesset gibt es 120 Sitze) stimmten nach tagelangen Debatten für einen Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeiten des Höchsten Gerichts einschränkt.
Heftig umstrittenes Kernstück der Justizreform ist die so genannte „Angemessenheitsklausel“: Bisher konnte das israelische Höchstgericht Vorhaben der Regierungen blockieren, wenn diese als nicht „angemessen“ erachtet wurden. Dieses Einspruchsrecht fällt nun.
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Kritiker befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten und Entlassungen begünstigt. Und dass sich auch Netanjahu selbst, gegen den ein Korruptionsverfahren läuft, so aus der Affäre ziehen wolle. Zugleich wird beklagt, dass die Unabhängigkeit der Justiz, ja die Demokratie selbst bedroht seien.
Die Netanjahu-Regierung wirft der Justiz dagegen vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen. Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.
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Deswegen liefen in Israel die Menschen dagegen Sturm. Und das schon seit 29 Wochen. Mindestens eine Million Israelis haben bereits fünf Mal an solchen Protestveranstaltungen teilgenommen.
Wobei ein tiefer Riss (nicht nur in dieser Frage) durch die israelische Gesellschaft geht: Laut einer jüngsten Umfrage stehen 35 Prozent hinter der Reform, 46 Prozent lehnen sie ab (19 Prozent zeigen sich unentschlossen).
Selbst Biden versuchte, zu intervenieren
Bis unmittelbar vor dem Votum im Parlament war noch alles versucht worden, einen Kompromiss zu erzielen: Staatspräsident Jitzhak Herzog traf sich nach seiner Rückkehr aus den USA mit Netanjahu sogar im Spital – dort war dem Kabinettschef am Wochenende ein Herzschrittmacher eingesetzt worden. Herzog verhandelte auch mit den Oppositionsführern Jair Lapid und Benny Gantz, die die Vorgängerregierung bildeten.
Sogar US-Präsident Joe Biden hatte sich mit dramatischen Worten in den Prozess eingeschaltet: „Aus der Sicht von Israels Freunden in den Vereinigten Staaten sieht es so aus, als ob der derzeitige Vorschlag zur Justizreform zu mehr Spaltung führt, nicht zu weniger.“
Alle Bemühungen blieben allerdings vergebens. Die Koalition blieb stur. Am Montag warf Lapid schließlich entnervt das Handtuch: „Mit dieser Regierung ist es unmöglich, Vereinbarungen zu treffen, die die israelische Demokratie bewahren.“ Die Regierung wolle „den Staat auseinanderreißen, die Sicherheit Israels, die Einheit des Volkes und unsere internationalen Beziehungen zerstören“.
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