Israel: Katerstimmung nach dem Krieg

In Israel trauert man um die 36 getöteten Soldaten: "Danke, Held" steht auf der Flagge auf einem Grab.
Die Angst vor Anschlägen bleibt; Palästinenser zürnen der Hamas; Verhandlungen über längere Waffenruhe.

Am Mittwoch hielt die auf 72 Stunden begrenzte Feuerpause zwischen der militant-islamistischen Hamas und Israels Armee zunächst einen zusätzlichen zweiten Tag. Beide Seiten signalisierten Bereitschaft, sich auf eine längere Waffenruhe zu einigen. Beide Seiten beanspruchten den Sieg für sich. Und auf beiden Seiten herrschte Katerstimmung.

Israels Armee rief die Menschen aus dem Süden des Landes, soweit sie sich in den Norden geflüchtet hatten, zur Rückkehr auf. " Jetzt kommt der Wiederaufbau", so Armeechef Gantz, "strategisch wie humanitär." Auch für Gaza, betonte Gantz, die Menschen dort hätten den höchsten Preis bezahlt.

"Alle Tunnel weg?"

Vorläufig kehrte aber nur ein kleiner Teil der Geflüchteten in Israels Süden zurück. "Die Raketengefahr machte das Leben schwer genug", so eine Frau aus Netiv Ha’assara direkt am Grenzzaun, "doch die Gefahr der Tunnel ängstigt weit mehr. Sind die wirklich alle weg?" Israel werde gegen neue Tunnel vorgehen, stellte Premier Netanyahu klar. Um die Sicherheit der Grenzorte zu gewährleisten, sollen Truppen in der Region stationiert bleiben.

Im Gazastreifen würden Zigtausende Menschen gerne in ihre Häuser zurückkehren, stehen jedoch vor Trümmern. Ihre Wut macht sich nicht mehr allein durch Hass auf Israel Luft. Vor allem in Bet Hanun im Norden sind ganze Straßenblocks zerstört. Hier wohnten viele Anhänger der mit der Hamas rivalisierenden Al-Fatah. Von hier aus beschossen die Hamas-Zellen besonders häufig Israel.Muschir al-Massri, führender Hamas-Funktionär, wurde beim Besuch Verwundeter im Schafi-Hospital von Angehörigen beschimpft: "Ihr seid schuld am Leid und der Zerstörung!" Journalisten, die den Gazastreifen verlassen haben, sprechen außerhalb des Einflussbereiches der Hamas offen über das, was sie gesehen haben. Ein indisches TV-Team zeigte Aufnahmen vom Aufbau einer Abschussrampe: "Hier, direkt neben unserem Hotel. Mitten in einem Wohngebiet und in Sichtweite zu einer UN-Einrichtung."

Unterhändler in Kairo

In Kairo begannen mittlerweile die Verhandlungen über eine langfristige Waffenruhe. Auch ein Team israelischer Unterhändler reiste an. Die ägyptischen Gastgeber vermitteln.

Hamas-nahe Unterhändler aus Katar und der Türkei halten sich im Hintergrund. Auch die US-Diplomaten sind zurzeit nicht in der vorderen Reihe. Ihre traditionellen Partner aus Kairo, Ramallah, den Golfstaaten und Riad sind von der bisherigen US-Haltung im Nahen Osten enttäuscht. "Als ob die die Muslimbrüder in der arabischen Welt plötzlich bevorzugen", schimpfte ein jordanischer Diplomat.

Auch in Israel kam der Verdacht auf, Washington könne versucht sein, die Muslimbrüder gegen die IS-Radikalen im Irak und Syrien vor den Karren zu spannen: "Teufel mit Beelzebub austreiben." Außerdem zürnt man der ungelenken Vermittlungsversuche der US-Außenpolitik zwischen Israel und den Palästinensern.

Dan Kurtzer, Ex-US-Botschafter in Ägypten und Israel, beklagte in der New York Times den desolaten Zustand der US-Beziehungen in Nahost, vor allem zwischen den USA und Israel: "Ich sehe nicht, wie diese Beziehungen sich wieder herstellen lassen, solange dieser Präsident (Obama) und dieser Premier (Netanyahu) im Amt sind."

Die Waffenruhe im blutigen Gaza-Krieg hält. Es habe am zweiten Tag bisher keine Verstöße dagegen gegeben, bestätigte eine israelische Armeesprecherin am Mittwochvormittag. Damit wächst auch die Hoffnung auf eine Verlängerung und dauerhafte Stabilisierung der Lage. In Kairo trafen sich Diplomaten, um darüber zu verhandeln.

Nach einer Schrecksekunde am frühen Nachmittag (gegen 14.00 Uhr Ortszeit), in der in Israel trotz Feuerpause erneut die Sirenen heulten, konnte kurze Zeit später Entwarnung gegeben werden. Es handle sich um einen "falschen Alarm", berichteten israelische Medien.

Israel hat am Mittwoch auch rund 27.000 Reservisten wieder nach Hause geschickt. Eine Armeesprecherin in Tel Aviv bestätigte, es seien nun noch 55.000 Reservisten im Einsatz. Insgesamt hatte Israel nach Armeeangaben für die vor einem Monat begonnene Offensive 82.000 Reservisten mobilisiert.

Verhandlungen über Waffenruhe

In der Nacht auf Mittwoch diskutierten israelische und ägyptische Unterhändler in der ägyptischen Hauptstadt über eine dauerhafte Waffenruhe. Ein Sicherheitsbeamter sagte, ägyptische Offizielle hätten den Israelis ein Papier mit Forderungen der palästinensischen Seite überreicht. Die israelische Seite habe ein für die palästinensischen Unterhändler bestimmtes Positionspapier an die Ägypter weitergegeben. Die israelischen und palästinensischen Delegationen sollen nun Zeit erhalten, die gegenseitigen Forderungen auszuloten.

Israel fordert als Bedingung für einen Wiederaufbau des zerstörten Gazastreifens eine Entmilitarisierung des schmalen Küstenstreifens und eine Entwaffnung der militanten Organisationen. Dies lehnt die radikal-islamische Hamas bisher kategorisch ab.

Israel: Katerstimmung nach dem Krieg
epa04342773 Israeli soldiers embrace each other as they sing at a staging area at an unspecified location near the Israeli border with the Gaza Strip, 06 August 2014. The Palestinians are considering extending the 72-hour ceasefire in the Gaza Strip that went into effect on 05 August, a West Bank-based news agency quoted an official attending talks in Egypt on a more enduring truce with Israel as saying. Israel is conditioning ending the blockade on disarming all militants in the Gaza Strip and dismantling their weapons, mainly the missiles they fire across the border. EPA/ABIR SULTAN

Die Palästinenser fordern eine Aufhebung der jahrelangen Blockade des Gazastreifens. Dabei nennen sie den Bau eines See- und Flughafens in Gaza, eine Aufhebung von Einschränkungen bei der Geldüberweisung und eine Ausweitung der Fangzone für Fischer. Sie verlangen auch die Freilassung von Häftlingen.

Izzat al-Rishak, ein hochrangiger Funktionär der im Gazastreifen herrschenden Hamas, stellte eine mögliche Verlängerung der Waffenruhe über Freitag hinaus in Aussicht. Dies hänge aber vom Verlauf der Verhandlungen mit Israel ab, sagte Al-Rishak der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan.

Gespräche in Kairo

Auch die USA werden nach Angaben der Regierung in Washington vermutlich an weiteren Gesprächen in Kairo teilnehmen. US-Außenminister John Kerry sagte dem britischen Fernsehsender BBC, die Gespräche in Kairo müssten Wegbereiter für breiter angelegte Verhandlungen in Richtung auf eine Zwei-Staaten-Lösung sein, um einen dauerhaften Frieden in der Region zu sichern.

Israel: Katerstimmung nach dem Krieg
A Palestinian man, who fled his house during an Israeli offensive, rests at a United Nations-run school, sheltering displaced Palestinians, in Jabaliya refugee camp in the northern Gaza Strip August 3, 2014. Picture taken August 3, 2014. REUTERS/Mohammed Salem (GAZA - Tags: POLITICS CIVIL UNREST TPX IMAGES OF THE DAY)

Die einen Monat dauernde Offensive Israels hat im Gazastreifen schwere Zerstörungen hinterlassen. 65.000 Menschen haben nach UN-Angaben keine Bleibe mehr. Nach der ersten ruhigen Nacht seit fast einem Monat verließen am Mittwoch viele Einwohner die UNO-Unterkünfte, um zu ihren stark zerstörten Wohnungen zurückzukehren und dort Habseligkeiten zu bergen. Die Aufräumarbeiten gingen indes weiter. Helfer haben noch Leichen in den Trümmern gefunden.

Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben gemeinsam Hilfen für eine dauerhafte Lösung in dem Konflikt angeboten. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, es werde unter anderem vorgeschlagen, die EU-Grenzmission Eubam am Übergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen wieder aufzunehmen.

Zudem könne eine internationale Überwachungsmission bei einer Vereinbarung zur Entwaffnung radikaler Gruppen im Gazastreifen helfen. Der Grenzübergang Rafah ist seit langem gesperrt. Die Palästinenser sind damit von einer wichtigen wirtschaftlichen Lebensader abgeschnitten, da dort weder Waren- noch Personenverkehr möglich sind.

Weiter hieß es aus dem Auswärtigen Amt, es handle sich um einen Beitrag zu den in der ägyptischen Hauptstadt Kairo angelaufenen Verhandlungen. Zu den vorgeschlagenen Elementen fänden derzeit intensive Abstimmungen mit den Parteien in der Region und mit internationalen Partnern statt, hieß es weiter.

Rund 1.900 Todesopfer

Seit Beginn der israelischen Offensive vor einem Monat wurden nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums 1.875 Palästinenser getötet und 9.567 weitere verletzt. Unter den Toten seien 430 Kinder, 243 Frauen und 79 ältere Menschen, teilte Sprecher Ashraf al-Kidra mit.

Israel: Katerstimmung nach dem Krieg

Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) hält sich derzeit im Gazastreifen auf, um sich ein Bild von den Zerstörungen und der Lage der Verletzten zu machen. "Ich habe noch nie so massive Zerstörungen gesehen", teilte Peter Maurer nach einem Besuch des Viertels Shejaia mit. "Ich habe ein tiefes Gefühl des Schocks darüber, was ich gesehen habe, und der Wut, dass wir nicht verhindern konnten, was passiert ist." Die Nacht auf Mittwoch habe er in Gaza verbracht, um "meine Zuversicht darüber zu zeigen, dass eine Waffenruhe eine ruhigere Nacht für die Menschen in Gaza bedeutet", twitterte Maurer in der Früh.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen könnte noch in dieser Woche über eine Resolution zum Gaza-Konflikt entscheiden. "Wir diskutieren gerade auf Fachebene über das Papier", sagte Großbritanniens UNO-Botschafter Mark Lyall Grant, der den Rat in diesem Monat führt, in New York.

UNO-Vollversammlung

Am Nachmittag (ab 16.00 Uhr MESZ) trifft die UNO-Vollversammlung in New York zusammen. Dabei sollen ranghohe UN-Vertreter die Botschafter der 193 Länder per Video-Konferenz über die Situation informieren. Die Vollversammlung war von den arabischen Staaten beantragt worden, die bisher vergeblich auf eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats drängen.

Die Ermordung von drei israelischen Jugendlichen im Juni im Westjordanland und eines 16-jährigen Arabers bei Jerusalem kurz darauf hatte eine Gewaltspirale in Gang gesetzt, die ein Auslöser für den jüngsten Gaza-Krieg war. Im Fall der getöteten Israelis sei ein verdächtiger Palästinenser aus Hebron bereits vor drei Wochen gefasst worden, meldete die israelische Nachrichtenseite "ynet" am Dienstag nach Aufhebung einer Nachrichtensperre. Er habe demnach versucht, mit gefälschten Papieren nach Jordanien zu fliehen. Hussam Kawasme habe während eines Verhörs gestanden, der Kopf der Gruppe gewesen zu sein. Seine mutmaßlichen Komplizen, Marwan Kawasme und Omar Abu Ajshah, seien auf der Flucht.

Umfrage: Kein Sieger

Nach einem Monat sieht die Mehrheit der Israelis laut einer Umfrage keinen Sieger in dem Gaza-Konflikt. 51 Prozent der Befragten seien der Auffassung, dass es bei der "Operation Schutzlinie" keinen klaren Gewinner gebe, berichtete die Tageszeitung "Haaretz". Israel hielten nur 36 Prozent der 442 befragten Bürger des Landes für den Sieger; sechs Prozent gaben an, die radikalislamische Hamas, die den Gazastreifen militärisch kontrolliert, habe gewonnen. Dennoch beurteilten 77 Prozent der Befragten das Krisenmanagement von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu während der Eskalation als "ausgezeichnet" oder "gut".

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