Massenproteste: Droht Netanjahus Regierung das Ende?

Massenproteste: Droht Netanjahus Regierung das Ende?
Netanjahu will die umstrittene Justizreform vorerst auf Eis legen. Ein Bruch der Koalition rückt trotzdem näher.

In Israel spitzt sich die innenpolitische Krise rund um die umstrittene Justizreform immer rascher zu. Am Abend kündigte Premierminister Netanjahu eine Verschiebung der Reform an. Zumindest bis Ende April ist der Beschluss damit auf Eis gelegt. Der rechte Koalitionspartner und Polizeiminister Itamar Ben-Gvir hate schon zuvor eine solche Verschiebung  verkündet. Der Sender Kanal 12 berichtete am Montag, der Ministerpräsident habe eine eilig für den Vormittag geplante Erklärung aufgrund schwerer Differenzen in der Koalition kurzfristig verschoben. In Medienberichten hatte es geheißen, es drohe ein Bruch der Koalition. Der Streitpunkt: Stopp der umstrittenen Justizreform oder ein Auf-Eis-Legen. Der Koalitionskrach wuchs sich quasi stündlich aus.

Der Premier rief auf Twitter angesichts massiver Proteste zur Einheit und gegen Gewalt auf. "Ich rufe alle Demonstranten in Jerusalem, von rechts und von links, dazu auf, verantwortlich zu handeln und keine Gewalt anzuwenden. Wir sind Brüder", schrieb Netanjahu am Montag.

Kurzfristig angesetzte Misstrauensvoten gegen die Regierung scheiterten im Parlament, in dem Netanyahus Allianz aus Konservativen, religiösen Fundamentalisten und rechten Nationalisten die Mehrheit hat. Die Spannungen hatten über das Wochenende zugenommen, nachdem Netanyahu Verteidigungsminister Joav Gallant wegen Kritik an der Reform abgesetzt hatte. Daraufhin verschärften sich die seit Monaten andauernden Demonstrationen gegen das Vorhaben. Präsident Yitzhak Herzog forderte die Regierung auf, die Reform zu stoppen.

"Demokratie in Israel in Gefahr"

Das Vorhaben würde der Regierung die Kontrolle über die Ernennung von Richtern am Obersten Gerichtshof geben. Zudem hätte die Regierung die Möglichkeit, Gerichtsurteile auf der Grundlage einer einfachen parlamentarischen Mehrheit außer Kraft zu setzen. Kritiker sehen die Unabhängigkeit der Justiz und damit die Demokratie in Israel in Gefahr. Gegen Netanjahu selbst, der schon mehrfach Ministerpräsident war, läuft derzeit ein Prozess wegen Korruptionsvorwürfen.

Präsident Herzog, der schon mehrfach versuchte, in der Sache zu vermitteln, forderte Montagfrüh ein Umdenken Netanyahus: "Um der Einheit des israelischen Volkes willen, um der Verantwortung willen, fordere ich Sie auf, den Gesetzgebungsprozess sofort zu stoppen", schrieb er auf Twitter. Ein Vertreter von Netanjahus Regierungspartei Likud erklärte kurz darauf, der Ministerpräsident werde die Reform stoppen und dies noch am Vormittag verkünden. Netanjahus rechtsextremer Koalitionspartner Itamar Ben-Gvir stellte sich dagegen. Die Regierung dürfe nicht "vor der Anarchie kapitulieren", twitterte er. Kurz darauf hieß es, Netanjahu verschiebe seine Erklärung. Der Sender Kan berichtete, Netanjahu habe den Spitzen der Koalition mitgeteilt, dass er die Reform aufschieben wolle.

Am Sonntag hatte Netanjahu Verteidigungsminister Gallant abgesetzt, nachdem der Likud-Politiker erklärt hatte, die durch die Reformpläne hervorgerufene Spaltung der Gesellschaft sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Darauf folgten erneute Massenproteste in mehreren Städten des Landes.

USA besorgt

Die Regierung betonte in den vergangenen Wochen wiederholt, die Justizreform sei notwendig, um Richter zu zügeln und ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der gewählten Regierung und der Justiz herzustellen. Über einen zentralen Teil des Vorhabens sollte in dieser Woche im Parlament abgestimmt werden. Das Projekt stößt auch auf Widerstand der Wirtschaft und bei Verbündeten Israels. So hatten die USA erklärt, sie seien zutiefst besorgt über die Ereignisse vom Sonntag.

Massenproteste: Droht Netanjahus Regierung das Ende?

Die Regierung steht so weit rechts wie wenig andere in der Geschichte Israels. Bei der Parlamentswahl Anfang November war der von Netanjahu angeführte Block auf 64 der 120 Sitze im Parlament gekommen. Netanjahu hatte zunächst eine schnelle Regierungsbildung angekündigt, tatsächlich gelang ihm das aber erst Wochen später und nur wenige Minuten vor Ablauf einer Fristverlängerung. Kritiker warfen ihm schon damals vor, sich anfällig für die Forderungen seiner extremen Verbündeten gemacht zu haben. Beobachtern zufolge ist mit der Allianz auch eine Zwei-Staaten-Lösung zur Beendigung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern in weite Ferne gerückt.

Ungeachtet massiver Proteste hat ein Kernelement der umstrittenen Justizreform in Israel eine weitere Hürde genommen. Der Justizausschuss des Parlaments billigte am Montag den Gesetzestext, der die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses ändern soll. Der Entwurf wurde zugleich zur finalen Lesung ans Plenum überwiesen, wie israelische Medien übereinstimmend berichteten.

Tausende Israels gingen am Montag auf die Straßen. In Tel Aviv versammelten sich Demonstranten mit israelischen Flaggen. Sie blockierten unter anderem eine zentrale Verbindungsstraße nach Jerusalem. Vor dem dortigen Parlament fanden sich Medienberichten zufolge ebenfalls Tausende Menschen ein, um gegen die Entlassung von Galant und die höchst umstrittene Justizreform der rechts-religiösen Regierung zu protestieren. Auch in weiteren Städten gab es Kundgebungen.

Wirtschaft streikt

Die Wirtschaft in Israel will mit zahlreichen Streiks die Regierung von der Justizreform abbringen. Am Flughafen Ben Gurion wurden am Montag Starts ausgesetzt. Die wichtigsten Seehäfen wie Haifa und Ashdod sowie Krankenhäuser kündigten Arbeitsniederlegungen im Tagesverlauf an. Ähnlich äußerte sich der israelische Ableger der Schnellrestaurant-Kette McDonald's. Die größte Bank des Landes, Leumi, und ihr Wettbewerber Hapoalim teilten mit, ihre Filialen würden ab 13.00 Uhr schließen. Die Gewerkschaft Histadrut rief zu einem Generalstreik auf, falls die Reform nicht gestoppt werde.

Die deutsche Bundesregierung äußerte sich besorgt wegen der eskalierenden Auseinandersetzungen. Eindrucksvolle Appelle des israelischen Staatspräsidenten Herzog müssten und würden sehr ernst genommen, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin. "Als enge Freunde Israels mischen wir uns natürlich nicht in die inneren Angelegenheiten eines Staates ein, und trotzdem blicken wir natürlich mit Sorge auf das, was in den letzten Tagen und vor allem Stunden sich in Israel zuträgt", sagte er.

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