Iran-Experte Posch: "Israel hat den Iran strategisch überrascht"

Nach dem beispiellosen israelischen Luftschlag gegen Ziele im Iran (mehr dazu in unserem Live-Ticker) herrscht im Nahen Osten eine neue Realität. Iran-Experte Walter Posch von der Landesverteidigungsakademie erklärt im KURIER-Gespräch, wie der Krieg weitergehen könnte und warum Israels Angriff nicht nur militärisch erfolgreich war, sondern auch strategisch für Teheran einen schweren Rückschlag bedeutet.
KURIER: Der israelische Luftschlag gegen Ziele im Iran kam in dieser Härte überraschend. Auch für Sie?
Walter Posch: In dieser Form, ja. Man wusste, dass Israel die Kapazitäten für einen solchen Angriff hat – aber dass es ihn tatsächlich allein und in dieser Intensität durchführt, hat viele überrascht. Nach dem letzten israelischen Angriff, bei dem die Luftverteidigung des Iran schwer beschädigt wurde, war Teheran auffallend ruhig. Israel wusste offenbar, dass ein Gegenschlag des Iran, wenn überhaupt, nur begrenzt gefährlich sein würde. Vor allem, wenn kritische Komponenten – etwa für die Raketenantriebe oder Treibstoffversorgung – fehlen.
Russische Experten behaupteten zuletzt, sie hätten die iranische Luftabwehr modernisiert. Offenbar zu Unrecht.
Die Zeit reichte schlicht nicht. Der Schaden, den Israel zuvor angerichtet hatte, war größer als öffentlich bekannt. Auch die russischen Spezialisten konnten daran kurzfristig nichts ändern. Und die Israelis sind offenbar mit enormer Kühnheit vorgegangen. Technische und operative Details werden wir erst in den kommenden Wochen erfahren – und selbst dann wohl nur gefiltert. Aber was wir jetzt schon sagen können: Israel hat militärisch gezeigt, dass es auf iranischem Territorium mit großer Präzision zuschlagen kann – trotz russischer Hilfe und ohne amerikanische Unterstützung.

Was bedeutet dieser Angriff politisch?
Es ist eine strategische Machtdemonstration. Israel hat drei Dinge gezeigt: Erstens, dass sein Nachrichtendienst nach wie vor in der Lage ist, punktgenau Zielpersonen auszuschalten – darunter Personen mit direkter oder indirekter Verbindung zum Nuklearprogramm. Zweitens, dass Israel militärisch alleine agieren kann. Man hat bislang angenommen, dass ein solch umfassender Schlag nur mit US-Unterstützung möglich wäre. Jetzt wissen wir: Das war ein Irrtum. Drittens: Innenpolitisch hat Netanjahu eine äußerst brisante Situation für sich entschärft. Im Vorfeld kursierten Berichte über Datenlecks, Materialabflüsse in Richtung Iran und eine tiefgreifende Regierungskrise. Mit diesem Luftschlag hat er das alles mit einem Schlag vom Tisch gewischt. Das zeigt, was Netanjahu immer auszeichnet: selbst unter immensem Druck erringt er die Initiative.
Hat der Angriff das iranische Atomprogramm substanziell beschädigt?
Er hat es auf jeden Fall getroffen – wenn auch nicht vollständig. Aber entscheidend ist: Es wurde nicht nur Infrastruktur zerstört, sondern auch personelles Know-how. Manche der getöteten Techniker und Wissenschaftler hätten ihr Wissen noch weitergeben sollen, an die nächste Generation. Das ist nun verloren. Solches Erfahrungswissen lässt sich nicht einfach dokumentieren oder digitalisieren. Das Fehlen dieser Expertise wird Teheran mittelfristig schwer zu schaffen machen. Die Technokraten in Teheran wissen genau, was das bedeutet – auch wenn sie es öffentlich nicht eingestehen können.

Iran reagiert bereits mit Drohnenangriffen, vermutlich folgen Raketen. Wie schätzen Sie den weiteren Verlauf des Kriegs ein?
Der entscheidende Punkt wird sein: Wie intensiv kann der Iran überhaupt noch zurückschlagen? Die Israelis behaupten, sie hätten die meisten Waffensysteme Teherans bereits ausgeschaltet. Die Iraner wiederum sagen, sie hätten noch etwas in der Hinterhand. Nun wird sich zeigen, wer recht hatte. Aber Israel hätte diesen Angriff wohl nicht gewagt, wenn es von einem verheerenden Gegenschlag ausgegangen wäre.
Welche Möglichkeiten hat Teheran mit seinem Vergeltungsschlag?
Angriffe auf leere Militärbasen werden symbolisch bleiben. Wenn der Iran jedoch zivile Infrastruktur oder gar Wohngebiete in Israel angreift, verändert sich der Charakter des Krieges. Das würde Gespräche mit den USA über eine Deeskalation sofort unmöglich machen. Und es könnte dazu führen, dass Iran international völlig isoliert wird – oder sogar Ziel einer breiteren militärischen Intervention. Die berühmte „strategische Geduld“, für die die iranische Führung unter Khamenei bekannt ist, könnte sich in diesem Fall als Schwäche herausstellen. Wenn sich der Iran zu einem überzogenen Gegenschlag hinreißen lässt, hat er strategisch verloren.
Auffällig ist, dass Länder wie Saudi-Arabien, Katar oder Jordanien ihre Lufträume geöffnet und aktiv iranische Drohnen abgefangen haben.
Diese Länder handeln in erster Linie aus Eigeninteresse. Wenn iranische Drohnen ihren Luftraum verletzen, müssen sie reagieren – schon um ihre eigene Souveränität zu wahren. Sie wollen keine Kollateralschäden. Dass diese Reaktion am Ende Israel hilft, ist vermutlich bewusst einkalkuliert. Aber das heißt nicht, dass sie automatisch auf Israels Seite stehen. Es zeigt vielmehr, dass der Iran auch in der Region kaum noch Vertrauen genießt. Das strategische Gleichgewicht hat sich zugunsten Israels verschoben – zumindest kurzfristig.
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