Zurück im Wahlkampf
Nach Auslaufen der gesetzlich vorgeschriebenen Frist zur Verabschiedung des Regierungshaushalts hat in Israel der Wahlkampf begonnen. Bis zu den Neuwahlen am 23. März, den vierten in zwei Jahren, muss Netanjahu sein Versprechen einhalten. Denn diesmal wendet sich sein Versprechen nicht an einzelne Interessengruppen, sondern an alle. Soll heißen: Nichteinhaltung kann die gesamte Wählerschaft gegen ihn aufbringen.
Netanjahu setzt darauf, dass ein Ende der Pandemie ohnehin eine Ermessenssache sein wird. Die Wähler müssen überzeugt werden, dass die Pandemie besiegt ist. Auch wenn das Virus dies anders sehen könnte. Schon jetzt dient ihm der Corona-Kampf zur Selbstprofilierung: Niemand außer ihm hat den Impfstoff besorgt, er allein sorgt für seine schnelle Verbreitung, kein anderer Politiker ist fähig, Israel im Kampf gegen das Virus zum Sieg zu führen. Ein typischer Netanjahu-Wahlkampf: Er allein ist gut, auch wenn das nicht auf dem ersten Blick klar wird. Alle anderen sind böse.
Die alte Masche könnte diesmal aber auslaufen. Mit Gideon Saar und Seew Elkin, zwei ehemals „beste Vertraute“ Netanjahus aus dessen Likud-Partei, treten neue Herausforderer an, die jeden Trick aus Netanjahus Wahlkampf-Kiste kennen. Die Beiden haben bereits begonnen, alte Partei-Kameraden in ihre frisch gegründete „Neue-Hoffnung“-Partei abzuwerben. Zulauf erhalten sie auch aus der Mitte. Eine Herausforderung von Rechts, die derzeit vielversprechend im Wählertrend liegt.
Kampf gegen Corona steht im Vordergrund
Noch ist das Wahlergebnis keineswegs zuverlässig abzuschätzen. Doch wird der Wahlkampf diesmal nicht allein durch Netanjahus Giftspritz-Methode entschieden. Was der alte Wahlkampf-Fuchs Netanjahu längst begriffen hat. Der Kampf gegen das Virus wird im Vordergrund stehen. Darum auch das riskante Versprechen vom schnellen Sieg gegen das Virus. Israels Premier, der das Risiko sonst meidet wie das Corona-Virus, setzt alles auf einen schnellen Impferfolg. Auf Leben und Tod.
Was schon jetzt schwierig wird. Proteste häuften sich bereits vor Beginn des 3. Lockdown am Sonntagabend. So drohten die Lehrer mit Streik, weil der Unterricht in den Schulen eingeschränkt weiter gehen soll. Sie fordern daher die Vorverlegung der Impfungen für das gesamte Lehrpersonal. Nach derzeitiger Planung würde sie nicht vor Mitte Januar beginnen.
Auch dem Einzelhandel geht im Jojo zwischen Öffnung und Schließung die Geduld aus. Israels 3. Lockdown wurde von der Regierung „vorläufig“ auf zwei Wochen angesetzt. Der Gesundheitsminister fordert schon jetzt vier Wochen. Ein Sprecher des Einzelhandels kündigte Ungehorsam an: „Was immer die Regierung beschließen wird – wir öffnen am 10. Januar unsere Geschäfte. Genug ist genug. Was Lockdown Nummer Eins und Zwei nicht brachten, bringt auch Nummer Drei nicht“
Die seit Monaten andauernden politischen Proteste gegen Netanjahu verstärkten sich ebenfalls am Wochenende. Die Zahl der Teilnehmer stieg - wie auch die Gewaltbereitschaft. Eine neue politische Gruppe kam hinzu: Die „wilde Bergjugend“ aus illegal errichteten Siedlungen im Westjordanland ist wütend. Als die Polizei letzte Woche nach gewaltsamen Krawallen gegen Palästinenser einen mutmaßlichen Steinewerfer verfolgte, endete die Auto-Jagd in einem tödlichen Unfall. Worauf auch diese Siedlergruppe sich den Protesten anschloss. Ohnehin sind sie frustriert vom Ausbleiben der Annexion besetzter Gebiete, die Netanjahu versprach und nicht durchführte.
Auch der 3. Lockdown begann wie seine Vorläufer: Mit widersprüchlichen und sich ständig "in letzter Minute" ändernden Anweisungen. So wurde letzte Woche ein Teil der aus dem Ausland eintreffenden Rückkehrer und Reisenden vom Flughafen unter Polizei-Begleitung in eine Zwangsquarantäne überführt. Andere wurden gleichzeitig ohne klaren Grund durchgewunken. Ermessen oder Willkür? Oder einfach Fahrlässigkeit?
Professor John Ioannides, einer der führenden Epidemiologie-Experten weltweit, stellte schon im März die kritische Frage: „Wie können Politiker wissen, dass sie mehr Nutzen als Schaden anrichten?“ Er meinte damit die Abwägung zwischen medizinischem Nutzen und wirtschaftlichen Schaden eines Lockdowns. Israels Politik fragt derzeit allein nach politischem Nutzen und Schaden - an der Urne. Die Antwort kommt am 23. März.
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