Am Wochenende war bekannt geworden, dass die radikal-islamische Hamas sechs ihrer am 7. Oktober verschleppten Geiseln getötet hat - unmittelbar ehe sie von israelischen Soldaten in einem Tunnel gefunden wurden, hingerichtet aus nächster Nähe. Laut Hamas seien einige dieser Gruppe auf einer Liste für einen Austausch gestanden.
Noch in der Vorwoche hatte das israelische Kabinett beschlossen, den südlichen Grenzabschnitt des Gazastreifens nicht zu verlassen. Auch nicht als Gegenleistung für die Freilassung der letzten verbliebenen Geiseln, die die Hamas bei ihrem Massaker-Überfall am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppt hat. Dann waren sechs von ihnen tot.
Hunderttausende stürmten daraufhin am Sonntagabend Israels wichtigste Verkehrsknoten und legten das Land für Stunden lahm. In allen Großstädten blockierten die Demonstranten die Zufahrten. Israels Polizei konnte die protestierenden Massen nicht aufhalten. Trotz Schockgranaten, Wasserwerfern, Schlagstöcken und Dutzenden Festnahmen.
Noch vor den Protesten und dem Streik hatte Netanjahu den sich abzeichnenden Umschwung erkannt. So schlug er am Sonntag plötzlich in seinen Verlautbarungen bisher unbekannte Töne an. Es gab sogar eine „Bitte um Verzeihung" an die Adresse der Angehörigen der Geiseln.
Allerdings: Bereits Ende Mai hatte US-Präsident Joe Biden eine erste Abkommensversion vorgeschlagen. Israel akzeptierte grundsätzlich. Auch die Hamas. Darauf ließ Netanjahu Ende Juni plötzlich einen Katalog mit Zusatzforderungen aufstellen. Gegen den Rat der Unterhändler, des Verteidigungsministers und der militärischen Führung.
Generäle und Ex-Generäle sind es, die sich für einen Kompromiss aussprechen. Ausgerechnet die extremistischen Ultra-Rechten unter Netanjahus Koalitionspartnern wollen dagegen weiterkämpfen. Ein großer Teil von ihnen diente nicht in der Armee.
Gericht stoppt Streik
„Mit seiner Politik will Netanjahu allein seine persönlichen Interessen wahren“, begründet Gewerkschaftschef Arnon Ben David seinen Aufruf zum Streik. Regierungsnahe Nichtregierungsorganisationen kritisierten den Streik bei ihrer Eingabe vor dem Arbeitsgericht hingegen als „verwerflich und anti-demokratisch“. Und bekamen recht: Ein Gericht ordnete für den Montag Nachmittag das Ende des Ausstandes an.
Auch die Zeitung "Yedioth" macht hinter dem Beharren Netanjahus auf die „Philadelphi-Achse“, den Grenzstreifen längs der ägyptischen Grenze, persönliche Machtmotive aus: „Die Philadelphi-Achse, auf die er nicht verzichten will, ist eigentlich die Achse zwischen dem Regierungssitz und Netanjahus Residenz.“ An den Katalogen mit immer neuen Zusatzforderungen, so zitiert die Zeitung einen Unterhändler, „klebt das Blut der Geiseln“.
Aus Washington kam in der Nacht zum Montag die Ankündigung eines wohl letzten Vorschlags zu einem Abkommen. Wobei es um weit mehr als Austausch und Kampfeinstellung geht. Von einer Beruhigung der Lage hängt letztlich die Vermeidung eines breiten Nahost-Krieges ab.
Auch die US-Pläne zu einem regionalen Verteidigungsbündnis mit Israel und arabischen Partnern gegen die iranische Bedrohung kämen nur nach einem Abkommen weiter. Die Zeitung "Maariv": „US-Präsident Joe Biden ist derzeit Israels vernünftigster Politiker.“
Wobei die wachsende Kritik sich nicht allein auf den Premier bezieht. Nur Verteidigungsminister Joav Gallant wagte es, gegen die Entscheidung im Kabinett zu stimmen. Er verlangt jetzt auch deren Annullierung.
Wobei bekannt ist, dass weitere Minister aus Netanjahus Likud-Partei durchaus bereit wären, zugunsten einer Freilassung der Geiseln auf den Philadelphi-Streifen zu verzichten. Allein, es fehlt der Mut, sich gegen den Alleinentscheider Netanjahu zu stellen.
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