Nach Hamas-Angriffen schaltet Israel auf kompromisslose Härte

Nach Hamas-Angriffen schaltet Israel auf kompromisslose Härte
Während die Zahl der Toten in Israel nach dem Angriff der Hamas immer weiter steigt, schlägt die Armee mit voller Härte zurück – vorerst noch aus der Luft, aber auch der Truppenaufmarsch läuft.

Von Norbert Jessen aus Tel Aviv

„Wir bombardieren Gaza 50 Jahre in die Zukunft“, verkündete Israels Verteidigungsminister Joav Gallant am Sonntag. Soll heißen: In eine Zukunft ohne Hamas.

In der Nacht auf Sonntag hatten israelische Luftangriffe Wohnblocks, Tunnel, eine Moschee und Häuser von Hamas-Funktionären im Gazastreifen getroffen. Mehr als 420 Menschen wurden durch die israelischen Gegenangriffe getötet, mindestens 2.300 verletzt. Das Sicherheitskabinett in Israel rief offiziell den Kriegszustand aus, der „weitreichende militärische Schritte“ erlaube, so Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

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Islamistenmiliz

Am Sonntag wurde Israel kurzzeitig von der Islamisten-Miliz Hisbollah aus dem Libanon angegriffen. Nach wie vor hielten sich Terroristen der islamistischen Hamas-Miliz aus dem Gazastreifen im Landessüden Israels auf. Es gab Angriffe auf Zivilisten in ihren Wohnungen. Während der Massaker schoss die Hamas bis Sonntagmittag 4.000 Raketen auf Israel ab.

Die Zahl der getöteten Israelis stieg bis Sonntagabend auf über 700, hauptsächlich waren es Zivilisten; dazu kommen an die 2.000 Verwundete. Mittlerweile wurden Zehntausende von Soldaten in der Umgebung des Gazastreifens stationiert. An 22 Stellen dürften die Terroristen den Sperrzaun durchbrochen haben. Er kostete Milliarden und sperrte bis tief in den Boden ab, um den Bau von Tunneln zu verhindern. Jossi Langozki, Erbauer der Anlage, sagte: „Auch die modernste Sperre hält menschlichen Angreifern nicht stand, wenn sie hartnäckig und einfallsreich sind.“

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Derweil wurden den ganzen Sonntag über weitere Leichen von Israelis gefunden. So etwa in den Dünen bei Sikkim, wo in der Nacht des Angriffs das „Naturfestival“ stattfand. Wahllos schossen die Angreifer auf über 3.000 Tanzende oder in Zelten Schlafende. Viele wurden auf Pick-ups verschleppt. Die genaue Zahl der Geiseln ist weiter unbekannt, Medien sprechen von Dutzenden bis Hunderten Opfern, darunter auch Kleinkinder mit ihren Müttern und Alte.

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Eine blutbefleckte Wand einer israelischen Polizeistation in Sderot.

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Israel steht am Sonntag unter Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen

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Zerstörte Autos vor der Polizeistation im israelischen Sderot

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Menschen in Ashkelon im Süden Israels versuchen ein Feuer zu löschen, während am Samstag Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert werden

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Eine Rauchwolke steigt während eines israelischen Luftangriffs am 8. Oktober 2023 über Gebäuden in Gaza-Stadt auf. 

Nach Hamas-Angriffen schaltet Israel auf kompromisslose Härte

Viele Palästinenser sind nach den israelischen Angriffen im nördlichen und östlichen Gazastreifen geflogen. Nach Angaben des UNRWA waren über 20.000 Binnenvertriebene in 44 UNRWA-Schulen in allen Gebieten des Gazastreifens mit Ausnahme von Khan Younis untergebracht. 

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Ein Mantel hängt neben den Trümmern des nach israelischen Luftangriffen zerstörten Al-Watan-Turms in Gaza-Stadt

Schlimmer als tot

„Sie wussten genau, wo wir waren,“ schilderte einer der Überlebenden, „sie schossen von allen Seiten, von Motorrädern aus und sogar von Windgleitern.“ Ein Vater, der auf Nachtschicht war, suchte verzweifelt Frau und Kinder. „Die Ortung zeigt, dass sich das Handy in Chan Junis im Gazastreifen befindet.“ Als Geiseln genommen in den Händen der Hamas: Für viele Israelis ist das schlimmer, als tot oder verletzt zu sein.

Und dann ist da die Wut auf die Geheimdienste, die offenkundig versagt haben. Ein Radio-Moderator gab der Armee den Rat, seine Frau als Chefberaterin in taktischen Fragen anzustellen.

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Die Hamas will die Realität verändern. Allerdings nicht mit Verhandlungen, sondern vorzugsweise mit Gewalt. Hamas-Chef Ismail Haniyeh sagte, man wolle den Angriff auf das Westjordanland und Jerusalem ausweiten.

„Freiluft-Gefängnis“

Die israelische Regierung war offensichtlich überzeugt, dass die harte Realität in Gaza unter der Hamas-Diktatur – ständig sinkende Lebensstandards, kaum berufliche und gesellschaftliche Perspektiven – auf ewig weiter gehen kann. Fast zwei Millionen Menschen leben in dem oft als das „größte Freiluft-Gefängnis der Welt“ bezeichneten Gebiet.

Sie werden jetzt, wie auch Israels militärische und politische Führung noch am Samstag angekündigt hat, die Entscheidungen der herrschenden Hamas bezahlen müssen. Samstagabend stoppte Israel Wasser-, Energie - und Stromversorgung nach Gaza.

Harter Gegenschlag

Zuletzt wurde spekuliert, Israel plane einen Einmarsch in Gaza. Ein ranghoher Militär meint: „Israel darf keine Rücksicht auf die Geiseln nehmen. Es geht ums Ganze.“ Damit ist gemeint: Ist die Reaktion auf den Angriff der Hamas zu milde, verliert Israels Militär seine abschreckende Wirkung. Die Normalisierung der Beziehungen mit den Golfstaaten und Saudi-Arabien droht in weite Ferne zu rücken – was mit das Ziel der Mullahs in Teheran war, die die Hamas bezahlen und beraten.

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