Irgendwann schieße ich unerlaubte Kriegsfotos – und Israels Militär nimmt mich für einige Stunden in Haft. Naiv und unerfahren möchte ich das aufregende Erlebnis dem KURIER berichten. Die Zensur in Tel Aviv aber lässt mich die Geschichte so lange umschreiben, bis sie nach Tourismus-Werbung klingt. In Wien liest Hugo Portisch meinen Artikel und durchschaut die Wahrheit: „Er ist verhaftet worden – und darf es nicht schreiben.“ So steht es anderntags auch in unserer Zeitung …
Meine Kriegsberichte haben Folgen. Israels politische Führung verwöhnt mich zunächst, Arabiens Herrscher aber verweigern mir die Einreise. Den Palästinensern gehört noch kaum Aufmerksamkeit. Erst mit Bruno Kreisky entdecke ich langsam die ganze Tiefe der Tragödie zweier Völker: mit dem „Recht ihrer Geschichte“ ringen Israelis und Palästinenser um denselben Boden. Komme ich aus dem Konfliktgebiet nach Wien zurück, lässt mich der Kanzler rufen; passiert Schlimmes, treffen wir uns spontan. Seine Nahost-Reisen sind Pflicht und Kür für mich. Kreiskys Wortwahl ist nicht die meine, seine Gesinnungsfreunde sind es aber schon. Und seine Bitte, Briefe unbemerkt nach hier und dort mitzunehmen, macht mich natürlich stolz. Erst viel später begreife ich, dass er als genialer Taktiker auch diesen Stolz eines Journalisten mit einkalkuliert.
Es ist Herbst 1973 – und Libanons Premier sitzt mit mir in seinem Sommerhaus im Shouf-Gebirge. Am Ende unseres Treffens geht er mit mir auf die Terrasse, schaut in die Ferne und flüstert: „Es riecht nach Pulver, mein Freund …“ Auf meinen ratlosen Blick wiederholt er den Satz. Zurück in Beirut rufe ich Kreisky an, berichte ihm, was geschehen war – und nur noch Stunden trennen die Welt vom „Oktoberkrieg“ des Ägypters Sadat im Oktober 1973 über den Suezkanal hinweg. Es ist der Beginn eines Rituals, das der Kanzler dann über Jahre hinweg wiederholt: Kommt ein Besuch aus dem Orient nach Wien, dann stellt er mich – nicht ohne feinen Unterton – seinem Gast mit den Worten vor: „Das ist der Mann, der vom Oktoberkrieg früher wusste als die Israelis“.
Auch Kurt Waldheim, als UNO-Generalsekretär eine Zentralfigur für Waffenruhe und Friedenstruppen, nimmt mich mehrmals nach Nahost mit. Der kleine Sonder-Jet darf sonst gesperrte Flugrouten überfliegen – und ich erlebe an Bord das Ringen um kunstvolle Formulierungen, die Länder miteinander verbinden sollen, die einander nicht anerkennen wollen. Für Araber ist er ein Symbol der Hoffnung, für Israelis aber Repräsentant einer Organisation, die ihrer Nation gegenüber als feindselig gegolten hat. Was das für ihn später an persönlichen Konsequenzen bedeutet hat, ist eine andere Geschichte …
Jahrzehnte kommen und gehen, Gefühle auch. Das Nahost-Drama wird zur lebenslangen Bewährung, als Journalist und als Mensch. Darf man – gerade als Österreicher – ein Volk mit Israels Geschichte Israels überhaupt kritisieren? Wo läuft die Scheidelinie zwischen notwendigem Widerspruch und Beihilfe zu alten Feindbildern? Bei jedem Besuch in Jerusalem erlebe ich die Gefühllosigkeit und Dominanz eines Siegervolkes – und sehe Minuten später in den Augen von Holocaust-Überlebenden das ganze ertragene Leid. Wie kann man die Zeugen und Nachkommen der Shoah gerecht beurteilen? Wie die innere Balance bewahren und doch betroffen bleiben? Auch nach Jahrzehnten wird es nicht leichter – eingespannt in die vollen „Scheunen der Erinnerung“.
Mit der Nähe wachsen Beziehungen, auch Freundschaften, mit friedenssüchtigen Israelis, aber auch mit arabischen Nachbarn, darunter Jordaniens König Hussein und der Ägypter Anwar Sadat. Als der das Unvorstellbare wagt und am 19. September 1977 im Nebel israelischer Begrüßungsböller beim Todfeind aus dem Flugzeug steigt, stehe ich dort an der Rollbahn und habe – wie manch abgebrühter Kriegsreporter – Tränen in den Augen. „Ich habe die Mondlandung gesehen, sagt ein Amerikaner neben mir – „aber was war das alles gegen diesen Tag – nichts“ Als Politiker und Generäle, die einander so oft Tod und Elend beschert hatten, in die Arme fallen, spüre ich: Das ist der größte Moment, den ich miterleben darf. Und doch: Das Wunder einer Nacht – es hat dem politischen Morgen danach leider nicht standgehalten. Sadat stirbt im Kugelhagel seiner eigenen Soldaten.
Mehr und mehr entdecke ich die eigene Sehnsucht, dem Dialog der Feinde mit meinen bescheidenen Mitteln auf die Spur zu helfen. Mit Zwischenstation Zypern bin ich zwischen Ammann, Tel Aviv und Kairo unterwegs, stelle den Regierenden hier wie dort dieselben Zukunftsfragen über Krieg und Frieden – ein „indirekter Dialog“ sozusagen. Ist es mein Glück, als „neutraler“ Österreicher ein wenig mehr Grundvertrauen zu finden? In den Gesprächen spüre ich herzklopfend ein erstes Mal eine Friedenschance für die Region. Auf israelischer Seite ist diesmal sogar ein Tonband zugelassen – beim Aussteigen aus dem Auto aber bemerke ich: Das Aufnahmegerät ist tonlos. Wer hat da gelöscht? „Macht nichts“, sagt mein Gegenüber, „notieren Sie halt, was Sie im Gedächtnis haben. Verwenden können Sie natürlich nichts – Sie haben ja gar nichts in der Hand, ich dementiere alles!“
Thomas Klestil fliegt im November 1994 als Österreichs erstes Staatsoberhaupt nach dem Holocaust und der Gründung des Judenstaates nach Israel. Am Rand von Jerusalem erwartet ihn auch Kiryat Mattersdorf, ein Stadtteil, in dem überlebende orthodoxe Juden aus dem Burgenland eine neue Heimat gefunden haben. Klestil fragt sich und auch mich, seinen Sprecher: „Wie werden wir dort empfangen werden – müssen wir gar mit Protesten, gar Demonstrationen rechnen? Die Spannung im Auto ist groß. Eine letzte Ecke – und plötzlich ist die Straße taghell. Im Scheinwerferlicht stehen Hunderte, vielleicht sogar Tausende Orthodoxe, singen und winken. In einer Woge von Wärme werden wir geführt, berührt und an den Händen gehalten. Bis der alte Oberrabbiner den für mich unvergesslichen Satz sagt: „Herr Bundespräsident, heute kann ich Ihnen endlich sagen, dass es keinen Abend in meinem Leben gibt, an dem ich mein Abendgebet nicht mit den Worten beende: „Gott schütze Österreich!“
Jahre später kommt Israels noch immer regierender Premier in die Hofburg. Der Bundespräsident hat zusammen mit mir eine Erklärung vorbereitet, die er nach dem Gespräch den Medien vortragen will. Der Inhalt: Klare Unterstützung Israels im Kampf gegen den Terror, aber auch eine deutliche Mahnung, dem Palästinenserstaat eine Chance zu geben. Ein paar Kopien musste ich schon an Zeitungen schicken, denen der Weg auf den Ballhausplatz zu weit war. Als sich die kleine Tapetentür öffnet und der Präsident seinen Gast zum Mikrofon führt, ist alles anders. Der Palästinenserstaat findet nun keine Erwähnung mehr – und auch sonst klingt alles neu und anders. Der Staatsgast aus Jerusalem hat sich als standfester „Redakteur“ des Bundespräsidenten erwiesen. Und ich habe den falschen Text verschickt.
Jahre sind seither vergangen. Israel ist für mich wieder das, was es ganz am Beginn war: ein aufregendes, berührendes Reiseziel – und ein tragischer Schauplatz politischer Schlagzeilen. Bei einem Ausflug auf den Semmering begegne ich irgendwann einem Israeli altösterreichischer Herkunft. Jahr für Jahr kommt er hierher, um die permanente Angespanntheit in seinem Land für ein paar Wochen abzulegen. Wir reden über den Weg Israels und Österreichs. „Wissen Sie“, sagt er abgeklärt, „wir leben in einer hochinteressanten Zeit. Aber ich bin schon zu alt dafür. Lieber würde ich darüber lesen …“
Im Alten Testament (Buch Exodus) steht „das Land, in dem Milch und Honig fließen“, bildlich für die Fruchtbarkeit des „Gelobten Landes“
Kommentare