Israel und die anderen Maßstäbe

Israel und die anderen Maßstäbe
Vor 75 Jahren wurde der jüdische Staat gegründet – die stolze Nation trotzte ihren Feinden. Die Spaltung im Inneren ist gerade der größte
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Israels Militär hat diese Woche bei einem Vergeltungsangriff im Gazastreifen drei palästinensische Dschihadistenführer (und gleich ihre halben Familien mit) „eliminiert“. Dass die gnadenlose Operation „Schild und Pfeil“ mitten in die Jubiläumstage „75 Jahre Israel“ fiel, war keine demonstrative Absicht: Israels Geheimdienste und Militärs handeln immer aus dem Selbstverständnis heraus, jederzeit so zu agieren, wie sie müssen, um dem Staat das Überleben zu sichern.

„Survivor nation“ hat der britische Economist kürzlich prägnant getitelt. Überlebende Nation und Nation der Überlebenden ist gemeint: Der Hort der Überlebenden der Shoa und aller seither Verfolgten also; und der Weg, den der Judenstaat seit seiner Gründung vor 75 Jahren gegangen ist.

Damals hätte niemand darauf gewettet, dass die junge Nation im feindlichen arabischen Umfeld lange überleben kann. Israel hat überlebt. Es wurde aus den Händen seiner Gründer und Baumeister eine gesellschaftlich blühende, wirtschaftlich potente, stolze Nation. Es hat das trotz oder wegen, auf jeden Fall neben seiner „Hauptbeschäftigung“ geschafft: der, seine Existenz zu verteidigen. Vom ersten Krieg 1948 weg, als die Nachbarn Israel von der Landkarte löschen wollten, bis heute, da der Iran und seine Handlanger das tun wollen.

Israel ist da nicht immer zimperlich vorgegangen, hat die Palästinenser-Frage beiseitegeschoben, mit Siedlungsbau provoziert – und die ewige Frage aufgeworfen: Darf man Israel kritisieren? Oder sind aufgrund seiner Geschichte andere Maßstäbe anzulegen?

Antwort: Zwei Mal ja. Israel hat das Recht, seine Existenz mit allen zu Gebote (und nicht zu Gebote) stehenden Mitteln zu verteidigen. Und es hat die Pflicht, dieses Recht nicht als Selbstzweck zu missbrauchen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht mit Füßen zu treten. Kritik daran ist kein neuer Antisemitismus.

Da sind wir bei Gegenwart und Zukunft. Israel erlebt nach Wahlen in Serie gerade, dass die (Parteien-)Demokratie mit der Zersplitterung der Lager an ihre Grenzen stoßen kann – und dass die Führung unter Langzeitpremier Benjamin Netanjahu in ein (Stichwort: Justizreform) autokratisches Eck driftet. Das spaltet die Gesellschaft wie noch nie. Die demografische Entwicklung mit einem Erstarken der Orthodoxen und ihrer krausen Gesellschaftsauffassung wird diese Spaltung weiter befördern.

Die Welt in und um Israel orientiert sich gerade neu.

Die Bedeutungsabnahme der Schutzmacht USA, neue Allianzen in Nahost sind eine Herausforderung. Die Unbill im Inneren ist die vermutlich noch größere. Und die braucht mehr politisches Gespür und Geschick, als „nur“ den Außenfeind in Schach zu halten. Israel ist zum Geburtstag zu wünschen, dass es bald die politische Konstellation findet, die dieses Geschick aufbringt.

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