Nahost-Krieg: Ein Iraner erzählt von seiner Flucht

Der Iraner Arian (Name aus Schutzgründen von der Redaktion geändert, Anm.) hat eine lange Reise hinter sich. Ungefähr 25 Stunden hat er vor wenigen Tagen mit Frau, Sohn, Schwiegertochter und dem vierjährigen Enkel in einem vollgepackten Mietauto verbracht, um aus Teheran herauszukommen. Arian ist 86 Jahre alt. Das erste Ziel: Die armenische Grenze, eigentlich nur rund elf Stunden entfernt.
Er ist einer von zahlreichen Iranern, die die Hauptstadt aus Angst vor den israelischen und später amerikanischen Bomben seit Kriegsbeginn am 13. Juni verlassen haben. Auf den Straßen staute es sich, auch vor den Tankstellen standen die Menschen Schlange.
„Wir konnten nicht mehr schlafen. Die Geräusche der israelischen Angriffe, wenn sie auch zum Glück weit weg von uns waren, haben das unmöglich gemacht“, erzählt Arian dem KURIER in einem Telefonat über die ersten Kriegstage, die er noch in Teheran erlebte. Am Anfang habe er gar nicht gewusst, was passiere. Es habe gedauert, bis er in iranischen Medien Informationen dazu gefunden habe. Das Internet war tagelang blockiert.
Stadt war „völlig leer“
Die Entscheidung zu gehen, sei dann schnell gefallen. Die Stadt sei völlig leer gewesen, als sie in den frühen Morgenstunden aufgebrochen seien. Im Nachbarland Armenien musste die Familie an der Grenze noch einmal stundenlang warten. Es ging weiter nach Jerewan, von dort aus mit dem Flugzeug nach Istanbul und anschließend in ein EU-Land.
Über die politische Situation im Iran sagt Arian, er hoffe, dass der Sohn des letzten Schahs – Reza Pahlavi, der seit der Revolution 1979 im US-amerikanischen Exil lebt – eine Bewegung aufbaue, die das Regime stürze. Ein alter Wunsch, so alt wie das Mullah-Regime selbst.
Dass Arian das mit einem Medium teilt, ist alles andere als selbstverständlich. Und auch er macht es nur, weil er den Iran verlassen konnte. Die Angst vor dem Regime – vor Spionage, Festnahme, Gewalt, Exekution – war bereits vor dem Krieg groß.
Jagd auf Spione
Schon lange werden im Iran jedes Jahr Tausende Bürger strafrechtlich verfolgt und willkürlich sowie unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert. Ganz besonders viele waren es während der landesweiten „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste ab 2022.
Nun steht das Regime wieder schwer unter Druck, sucht verzweifelt nach angeblichen Mossad-Spionen in den eigenen Reihen, lässt sie hinrichten. Mindestens 700 Personen wurden seit 13. Juni festgenommen, sagen Menschenrechtsorganisationen.
Wut gegen USA
Stimmen aus dem Iran kommen dieser Tage deshalb vor allem von jenen, die sich für die Politik und Ansichten des Regimes aussprechen, sich vor diesem nicht fürchten müssen. „Es gibt niemand Schmutzigeren als Trump“, sagte etwa ein Mann aufgeregt auf einer Straße in Teheran zum US-Sender CNN, am Tag nach den amerikanischen Bomben auf die Atomanlagen Fordo, Natanz und Isfahan.
Und weiter: „Wir haben keine nuklearen Waffen, also warum greifen sie uns an? Ein Typ wie er denkt nur an seinen eigenen Vorteil.“ Eine Frau meint: „Wir haben unsere normalen Leben gelebt und sie haben uns angegriffen. Wir machen nichts als uns zu verteidigen.“
Die USA und Donald Trump waren neben Israel und Benjamin Netanjahu schon vor dem Kriegseingriff das große Feindbild iranischer Regime-Anhänger. Bei ihren Protesten wird nicht nur Israel, sondern auch Amerika der „Tod“ gewünscht; sowohl israelische als auch amerikanische Flaggen brennen – eine bekannte Propaganda-Methode des Regimes.
"Möchte, dass die Menschen auf die Straße gehen"
Exil-Medien veröffentlichen hingegen vereinzelt die Aussagen der anderen Seite, anonymisiert. Der Sender Iran International, der seinen Sitz in London hat, veröffentlichte kurz nach Beginn der israelischen Angriffe Statements, die ihm Zuseher und Zuseherinnen laut Eigenangabe zugeschickt haben.
Niemand freue sich über Krieg, schrieb demnach eine. Doch jetzt würde das Regime wenigstens „verstehen, dass es zwar das iranische Volk einschüchtern und auf der Straße töten kann, aber nicht die Welt und die Großmächte“. Ein anderer habe sich gar bei Israel bedankt und gefordert: „Ich möchte, dass die Menschen auf die Straße gehen und sich miteinander vereinen, um diese blutrünstige Regierung zu stürzen.“
Hoffnungen auf Pahlavi
Kronprinz Reza Pahlavi, den Arian und viele andere Regimekritiker gerne an der Spitze einer erfolgreichen Widerstandsbewegung sehen würden, meldete sich öffentlich zu Wort: Dieser Konflikt sei kein Krieg des Iran, sondern des Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei. Militär, Polizei und Geheimdienstmitarbeiter sollen sich laut ihm von der „korrupten und inkompetenten Führung“ distanzieren, sich den Menschen anschließen und die islamische Republik mit Protesten und Streiks stürzen.
Dass es tatsächlich bald zu einem derartigen Regimewechsel – wie auch Netanjahu ihn gerne hätte und mit dem auch Trump bereits liebäugelte, dann aber doch zurückruderte und von drohendem Chaos sprach – halten Experten zu diesem Zeitpunkt für unwahrscheinlich. Vor allem, wenn er von außen versucht würde. Dazu kommt die große Unsicherheit, wer tatsächlich übernehmen würde.
Arian und seine Familie jedenfalls bleiben jetzt erst einmal in Europa, haben ihre Aufenthaltsgenehmigungen für drei Monate, und hoffen. Dass den im Iran verbliebenen Bekannten nichts passiert, ihre Wohnungen in Teheran unversehrt bleiben und der Krieg ein Ende nimmt.
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