Kurden vermelden erste Erfolge gegen Jihadisten

Kurdische Kämpfer
Etwa 30.000 Flüchtlinge gerettet. Diese berichten von Gräueltaten der IS.

Unter der Deckung von US-Luftangriffen auf die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) haben kurdische Soldaten und Milizen ihre Angriffe auf die Jihadisten verstärkt. Zwei Orte seien bereits zurückerobert worden, berichtete ein kurdischer Regierungsvertreter am Sonntag. Übereinstimmenden Berichten zufolge wurden mindestens 20.000 yezidische (jesidische) Flüchtlinge gerettet.

Mitarbeiter aus Konsulat in Erbil abgezogen

Die IS sei aus Gwer und Makhmour vertrieben worden, sagte der kurdische Regierungsvertreter am Sonntag der Nachrichtenagentur Reuters. Allerdings werde es noch dauern, bis die Wende in dem Konflikt erreicht sei. Das US-Zentralkommando in Tampa (Florida) gab bekannt, dass am Sonntag fünf weitere Luftschläge durchgeführt worden seien, "um kurdische Truppen nahe Erbil zu verteidigen". Allerdings zogen die USA wegen des IS-Vormarsches einige Mitarbeiter aus ihrem Konsulat in Erbil ab.

Der kurdische Präsident Massud Barzani ersuchte unterdessen um Waffenlieferungen. "Wir bitten unsere Freunde, uns zu unterstützen und die notwendigen Waffen zur Verfügung zu stellen, um diese terroristischen Gruppen zu besiegen", zitiert das kurdische Nachrichtenportal Rudaw Barzani am Sonntag in Erbil. Barzani betonte, dass die Verbündeten nicht für die Kurden kämpfen müssten. "Wir werden unseren eigenen Krieg führen."

Patriarch enttäuscht von USA

Kurden vermelden erste Erfolge gegen Jihadisten
epa04348368 A photograph made available 10 August 2014 shows the Patriarch of the Chaldean Catholic church, Louis Sako (C) speaking to the media during a press conference following a meeting with Senior Shiite Cleric Ayatollah Ali Sistani (not pictured) in Najaf, south of Baghdad, Iraq, 24 July 2014. According to local media sources the Patriarch visited Ali Sistani in Najaf to discuss the massive numbers of Christians forced to flee their homes in Nineveh Province ahead of advances by the Islamic State (IS). EPA/KHIDER ABBAS
Enttäuscht vom beschränkten Umfang der US-Intervention zeigte sich unterdessen das geistliche Oberhaupt der Christen im Irak, Patriarch Louis Sako. Die Haltung von US-Präsident Barack Obama, lediglich militärische Hilfe zum Schutz der Kurden-Hauptstadt Erbil zu leisten, sei enttäuschend, schrieb der chaldäische Patriarch in einem am Sonntag veröffentlichten offenen Brief. Damit gebe es wenig Hoffnung, dass die Jihadisten-Gruppe Islamischer Staat (IS) besiegt werden und die von der Terrormiliz Vertriebenen zurückkehren könnten. Auch in Wien wurde bei einem Solidaritätsmarsch Orientalischer Christen Kritik an der Rolle von Türkei, EU und USA laut (siehe unten).

Im Irak hatte sich die Lage nach dem Vormarsch der IS-Extremisten in Gebieten nördlich und westlich der Stadt Mossul - wo zahlreiche Vertreter religiöser Minderheiten leben - vor einer Woche verschärft. Nach UNO-Angaben sind dort allein seit dem vergangenen Montag rund 200.000 Menschen vor den vordringenden IS-Kämpfern geflohen. Die meisten stammten aus christlichen und yezidischen Dörfern. Bis zu 55.000 Yeziden waren am Wochenende bei brütender Hitze im Sinjar-Gebirge eingeschlossen.

30.000 gerettet

Ein Vertreter der autonomen Kurdenregierung berichtet, etwa 30.000 Flüchtlinge seien von kurdischen Kämpfern wieder zurück in den Irak eskortiert worden, nachdem sie zunächst nach Syrien geflüchtet waren. Die yezidische Parlamentsabgeordnete Vian Dakhil sagte: "20.000 bis 30.000 gelang es zu fliehen, aber noch immer sind tausende auf dem Berg." Der Weg herunter ins Tal sei weiter riskant. Internationale Hilfsorganisationen bestätigten, dass mehrere tausend Überlebende gerettet worden seien

Die yezidische Parlamentsabgeordnete Dakhil warnte nach Angaben des kurdischen Nachrichtenportals Basnews vor einem Massensterben, sollten die Flüchtlinge nicht innerhalb von zwei Tagen in Sicherheit gebracht werden. Ihren Angaben nach starben bereits 50 yezidische Kinder in den Bergen.

Gräueltaten

Die irakische Regierung warf den Jihadisten Gräueltaten an den Minderheitenangehörigen vor. Yeziden seien lebendig in Massengräbern begraben worden, darunter auch Kinder, sagte der irakische Minister für Menschenrechte, Mohammed Shia al-Sudani, am Sonntag. Mindestens 500 Jesiden seien zudem getötet sowie etwa 300 Frauen versklavt worden, sagte Sudani der Nachrichtenagentur Reuters.

EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton verurteilte das Treiben der Jihadisten als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Die Vorwürfe müssten schnell untersucht werden, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können, erklärte Ashton am Sonntag.

"Im Orient fordern laute Stimmen zum Jihad auf. Doch das ist nicht die Stimme Gottes." Bei einem Solidaritätsmarsch der orientalischen Christen am Sonntagabend in Wien kritisierte der syrisch-orthodoxe Chorbischof Emmanuel Aydin aber auch die Untätigkeit ausländischer Akteure im Nordirak, wo radikale Islamisten Christen und andere Minderheiten töten und verfolgen.

Rund tausend Menschen nahmen am Sonntagabend an dem Protest in der Innenstadt teil, darunter auch alevitische und kurdische Gruppen. "Mord, Erpressung, Vertreibung" markieren nach der Einnahme der altchristlichen Gebiete das Geschehen, so Bischof Aydin. Zur IS ("Islamischer Staat") sagte er: "Diese Sunniten sind islamische Terroristen." Ihr Ziel sei die Wiedererrichtung des einstigen Osmanischen Reiches im Zeichen eines Islam nach ihrer Vorstellung. "Auch Spanien und Österreich stehen auf der Karte dieses Kalifats", warnte der Geistliche. Dennoch: "Die Politiker des Westens schweigen. Wieso werden die Christen im Orient den Islamisten ausgeliefert?" Aydin fuhr fort: "Welche Rolle spielen die Türkei, die EU, die USA?" - um selbst zu antworten: "eine unrühmliche".

Zu dem Protestmarsch hatte die Union Orientalischer Christen aufgerufen, ein Bündnis von 13 orientalischen Gemeinschaften in Österreich, unter ihnen Assyrer, Chaldäer, Armenier, Kopten, Maroniten und Melkiten. An der Spitze des Zuges marschierten kleine Kinder, die Kreuze und Plakate mit der Aufschrift "ISIS stoppen, Christen retten" trugen, sowie christliche Würdenträger. Viele Teilnehmer hielten Schilder mit dem Buchstaben N ("nun" auf Arabisch) in Erinnerung an den Überfall der IS-Kämpfer, die Christenhäuser mit "N" (für "Nazarener", d.h. Christen in Anlehnung an Jesus von Nazareth) gekennzeichnet hatten.

Auf Transparenten hieß es "Ich bin Nazarener", "Wir sind Christen", "Stoppt den Genozid" und "Die verwundete Menschheit schreit". Auch der beiden in Syrien im Vorjahr verschleppten Aleppiner Bischöfe wurde gedacht. Aktionen des Westens wurden eingefordert: "Schau nicht weg, Europa". Mit Sprechchören - "Stoppt die ISIS, stoppt den Genozid!" und "Wir sind Christen" -sowie Gesängen in Arabisch und Aramäisch, der Sprache Christi - zogen die Menschen von der Staatsoper über Seilergasse und Graben zum Stephansplatz, wo vor dem Churhaus die Schlusskundgebung stattfand.

Bemerkenswert war auch die Beteiligung des Alevitisch-Islamischen Vereins Alevi und der Türkischen Kulturgemeinde. Deren Vorsitzender, der Verleger Birol Kilic, sprach von hundert Teilnehmern aus den Reihen der Kulturgemeinde. Von kurdischer Seite waren Sympathisanten der Parteien PYD (Syrien) und der PKK (Türkei) dabei. Das Mitmarschieren von Erich Waldmann (im Habitus eines Imam), der für die Schiiten im Schurarat der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGIÖ) sitzt, führte zu heftigen Kontroversen am Rande der Veranstaltung. Eingeweihte bezeichneten den Konvertiten Waldmann als "Vorzeige-Schiit".

Weihbischof Franz Scharl rief als Vertreter der katholischen Kirche und der Erzdiözese zur Solidarität "mit den Brüdern und Schwestern im Orient" auf. Die Verantwortungsträger, namentlich die Organe der Vereinten Nationen, forderte Scharl zum Handeln für die verfolgten religiösen Minderheiten auf. Applaus erntete der geistliche Vertreter der Griechisch-Orthodoxen für seine Worte "Allah ist groß - aber nur für die Guten, nicht für Mörder". Die Patriarchen der orthodoxen und der katholisch-orientalischen Kirchen hatten jüngst bei einem Treffen im Libanon das Schweigen der Führer in der arabischen Welt zu den Massakern im Irak hart kritisiert.

Der islam-kritische Ökonom Christian Zeitz betonte in einem kurzen Statement am Schluss der Veranstaltung, man müsse sich im klaren sein, dass die IS-Extremisten "sich an wichtigen Suren des Koran orientieren", also im Sinne des Koran zu handeln glauben, wo Nicht-Muslime als Ungläubige gelten. Imame in aller Welt müssten sich von diesen Koran-Suren distanzieren. Im Übrigen sollten wir uns hierzulande Sorgen machen, "dass der Jihad ("Heiliger Krieg") nicht in unseren Ländern ankommt."

Großbritannien hat am Samstag sein erstes Transportflugzeug mit Hilfsgütern für die Bevölkerung im Nordirak auf die Reise geschickt. Die Maschine habe am Samstag den Luftwaffenstützpunkt Brize Norton nordwestlich von London mit Ziel Irak verlassen, berichtete die BBC. Die Hilfe sei unter anderem für Flüchtlinge der Volksgruppe der Yeziden (Jesiden) bestimmt, von denen Zehntausende in die Berge fliehen mussten und in sengender Hitze ohne ausreichend Wasser und Nahrung ausharren. Unter den Hilfsgütern seien Trinkwasser und Zelte, hieß es.

Der britische Premierminister David Cameron und der Verteidigungsminister Michael Fallon hatten am Freitag ein Hilfspaket im Volumen von acht Millionen Pfund (10,04 Mio. Euro) bekannt gegeben. Cameron schloss eine Beteiligung an den Luftangriffen der US-Amerikaner im Irak aus. Fallon erklärte jedoch, Großbritannien werde sich unterstützend beteiligen, etwa mit Tank-und Aufklärungsflugzeugen.

Ohne Wasser und Nahrung

Auch das US-Militär hat erneut Lebensmittel und Trinkwasser für die notleidenden Zivilisten im Nordirak abgeworfen. Drei Transportflugzeuge hätten Wassercontainer und zehntausende von Mahlzeiten im Sinjarf-Gebirge abgeworfen, teilte das Pentagon in der Nacht zu Samstag in Washington mit. Die Maschinen seien von zwei F18-Kampfjets begleitet worden.

Tausende Jesiden harren seit Tagen ohne Wasser und Nahrung in den Bergen nördlich der Stadt Sinjar aus, die von IS-Kämpfern erobert worden war. US-Außenminister John Kerry erklärte am Freitag in Kabul, die IS-Offensive gegen Jesiden und Christen zeigten "alle Anzeichen eines Genozids". Nach Angaben der kurdischen Nachrichtenseite Rudaw waren 50 000 Jesiden nach ihrer Flucht vor den Dschihadisten tagelang im Sindschar-Gebirge eingeschlossen. Mindestens 70 Menschen seien an Unterversorgung gestorben. Viele würden sich inzwischen von Blättern ernähren, berichten Augenzeugen. Einem Bericht des kurdischen Nachrichtenportals Basnews zufolge konnten kurdische Soldaten inzwischen eine große Zahl der Flüchtlinge in Sicherheit bringen.

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