Der Kampf um Allianzen und Feindschaften

Schiitische Freiwillige, amerikanische Militärberater, Soldaten Saudi Arabiens, Sunniten und Kurden ... Die Verhältnisse zwischen den Beteiligten sind komplex.
Die Beteiligten in der Irak-Krise sind oft beides: Mitspieler und Gegner.

Seit der Machtübernahme der radikal-sunnitschen Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (ISIS) in weiten Teilen des Irak droht das Land zu zerfallen. Mit der Ausrufung eines Kalifats hat so etwas wie eine Zeitwende im Nahen Osten eingesetzt.

Die Big Player im Irak-Konflikt bleiben die gleichen: USA, Iran, die Golfstaaten, Türkei und die Kurden. Die Verhältnisse zwischen Ihnen sind aber äußerst komplex und für Laien nur schwer verständlich.

Iran und USA

Rund 35 Jahren, seit der Islamischem Revolution mit dem Sturz des Schahs, der Geiselnahme von 52 US-Bürgern für 444 Tage 1979-1980 und der Erstürmung der US-Botschaft in Teheran, herrscht diplomatischer Stillstand zwischen den beiden Staaten. In den vergangenen Jahren kam der Streit um das iranische Atomprogramm erschwerend dazu.

Die Machtübernahme der ISIS in machen Teilen des Irak veranlasst die amerikanische und iranische Regierung zu gemeinsamen Gesprächen. Während US-Präsident Barack Obama etwa 800 Militärberater nach Bagdad sendet, kann sich Irans Präsident Hassan Rohani Waffenlieferungen an das irakische Militär vorstellen. Warum? Der hauptsächlich schiitische Iran führt engste Beziehungen zur irakischen Regierung, die ebenfalls schiitisch dominiert ist. Gemeinsam will man die sunnitische ISIS-Bewegung stoppen.

Aber das Verhältnis zwischen den USA und dem Iran ist trotz der gemeinsamen Vorgehensweise im Irak weiterhin angespannt. Vor allem der Bürgerkrieg in Syrien stellt derzeit eine unüberwindbare Hürde dar. Der Iran untersützt das Regime von Bashar al-Assad, das gegen die sunnitischen Rebellen vorgeht. Die USA hingegen stärken den Oppositionellen den Rücken, was der iranischen Regierung nicht gefällt.

USA und Golfstaaten

Kuwait, Bahrain, Saudi Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Oman (Golfstaaten) wollen gemeinsam mit den USA die Nuklearwaffen-Bestrebungen des Iran stoppen und somit den iranischen Einfluss in Nahost unterbinden.

Vor allem Saudi Arabien (mehrheitlich sunnitisch-wahabitisch) kämpft gegen den schiitischen Iran um die Vormachtstellung im Nahen Osten. Einer Meinung sind sich die USA und die Golfstaaten auch in Bezug auf den Bürgerkrieg in Syrien: gegen Assad, für die syrischen Rebellen.

Aber die USA sind auf Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi Arabien nicht gut zu sprechen. Diese gelten nämlich als wichtige Finanziers der sunnitisch-militanten Bewegungen im Irak und Syrien.

In Katar ist auch der Sitz des TV-Senders Al Jazeera. Der Emir finanziert die ägyptische Muslimbruderschaft, was zu Spannungen zwischen Saudi Arabien und Katar führte. Die Golfstaaten wiederum lehnen die von den USA unterstützte schiitisch-dominierte Regierung Iraks ab - der irakische Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki ist ihnen ein Dorn im Auge.

Türkei und irakische Kurden

Ablehnend stehen sich die Türkei und die Kurden gegenüber. In den letzten Jahren gab es aber mehrere Annäherungsversuche, was zu einer breiten, finanziellen Beziehungen zwischen ihnen führte.

Der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien ist ein großes Problem für die Türkei und für die dort ansässigen Kurden. Die türkische Regierung fürchtet weitere Flüchtlingsströme und neue Kampfhandlungen nahe der syrisch-türkischen Grenzen. Die Kurden fühlen sich von dem Vormarsch der ISIS bedroht - sie könnten kurdisch bewohnte Gebiete in Syrien übernehmen. Man einigte sich deshalb auf eine Zusammenarbeit in Syrien.

Aber die Regierung in der Türkei ist über den Erfolg der Kurden über die sunnitische ISIS im Irak besorgt. Die Türkei befürchtet, dass die Autonomiebestrebung (siehe hier) der irakischen Kurden auf die kurdische Bewegung in der Türkei überspringen könnte. Deswegen misstrauen die Kurden jegliche Intervention der Türkei im Irak - es könnte ein Hinterhalt sein.

Kurden und al-Malikis Regierung

Nachdem der Präsident der autonomen Region Kurdistan im Nordirak, Masud Barzani, in einem BBC-Interview ein Unabhängigkeitsreferendum angekündigt hat, ist das Verhältnis zu al-Maliki noch angespannter. Wenn es um Öl-Gewinne, Grenzen und die Autonomiebestrebung geht, sind Kurden und die irakische Regierung gegensätzlicher Meinung,

Die Mehrheit der Kurden im Nordirak sind Sunniten. Regierungschef al-Maliki macht jedoch keine Anzeichen, für eine Einheitsregierung der Schiiten, Sunniten und Kurden weichen zu wollen. Die politische Partizipation der Kurden in Bagdad bleibt also weiterhin aus.

Aber Kurden und die Regierung al-Malikis machen sich gegen eine sunnitisch-militante Übernahme Iraks und Syriens stark. Gemeinsam gehen sie taktisch gegen die Terrorgruppe ISIS vor.

Golfstaaten und ISIS

Der gemeinsame Feind sitzt in Syrien: Bashar al-Assad. Durch finanzielle Mittel der Golfstaaten (Katar, Arabische Emirate und Saudi Arabien) werden die sunnitischen Rebellen im syrischen Bürgerkrieg unterstützt. Gemeinsam teilen sie auch eine Antipathie gegenüber schiitischen Regeln und dem iranischen Einfluss im Irak und in der Region.

Aber die Golfstaaten betrachten die Terrorgruppe ISIS und das Ziel eines kompromisslosen Kalifats als zu extrem und bedrohlich für den Nahen Osten. Die Rebellen sehen in den Golfstaaten korrupte Machenschaften und unreligiöse Ansichten, die mit einem islamischen Staat nicht vereinbar sind.

Der größter Verlierer im Irak-Konflikt könnte womöglich Al-Kaida werden. Dabei war ISIS ursprünglich eine Untergruppe des Terrornetzwerkes. Doch mittlerweile, so die Einschätzung von Experten, kämpfen beide Gruppen um die Vormachtstellung unter Jihadisten.

Kein Bedarf für Al-Kaida

"Nach Meinung von Jihadisten gibt es mit der Errichtung eines islamischen Kalifats keinen Bedarf mehr für Al-Kaida", sagt der in Amman ansässige Experte für islamistische Bewegungen, Hassan Abu Haniyeh. Denn mit der Deklaration des Kalifats durch ISIS wurde auch die Grenze zwischen Irak und Syrien für nichtig erklärt. In einem Kalifat sind weltliche und geistliche Führerschaft in einer Hand vereint. Die türkische Regierung hatte 1924 das letzte Kalifat nach dem Ende des Osmanischen Reiches abgeschafft.

Der vermeintliche Sieg von ISIS - die sich nun IS (Islamischer Staat) nennt - könnte noch weiter gehen. Nämlich dann, wenn jene Extremisten, die einst Al-Kaida die Treue schworen, nun zu ISIS wechseln. So gibt es bereits Anzeichen, dass sich Al-Kaida im Islamischen Maghreb und Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel für den ISIS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi erwärmen.

Gründer der ISIS

Gründer von ISIS war der für seine Grausamkeit berüchtigte Jordanier Abu Mussab al-Sarkawi. Er wurde 2006 von der US-Armee getötet, hatte zuvor aber noch einen blutigen Konflikt mit den Schiiten vom Zaun gebrochen - entgegen den Vorstellungen der obersten Al-Kaida-Führungsebene, die ihn für zu radikal befand. 2010 übernahm dann Al-Baghdadi die Gruppe Sarkawis und führte sie nach Syrien. Dort überwarf sich ISIS mit der aus syrischen Salafisten bestehenden Al-Nusra-Front, obwohl beide Gruppen damals dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahestanden.

Ein Teil ihrer Attraktivität für ausländische Kämpfer rührt daher, dass es ISIS gelang, in Syrien Gebiete unter ihre Herrschaft zu bringen, in der die reisenden Jihadisten so etwas wie eine Heimat fanden. So nutzte die Gruppe die Kontrolle über Städte wie Raqqa im Osten Syriens für eine geschickte Propaganda, die es ISIS erlaubte, sich selbst als Hüter eines Ortes zu präsentieren, an dem die wahre islamische Rechtstradition herrscht.

IS ersetzt Al-Kaida

Das funktionierte besonders gut vor dem Hintergrund gescheiterter Staaten im Nahen Osten, der Desillusionierung über arabische Führungskraft und dem Aufkommen moderaterer islamistischer Gruppen wie der Muslimbruderschaft. Al-Kaida - die selbst nie über ein eigenes Staatsgebiet geherrscht hat - ist nun beim Kampf um die Herzen und Köpfe junger Extremisten, die in den "Heiligen Krieg" ziehen wollen, ins Hintertreffen geraten. "Al-Kaida und ihre sogenannten Führer haben eine Gelegenheit nach der anderen gehabt, um den Traum eines jeden Muslim von der Errichtung eines Kalifats zu verwirklichen, aber sie sind gescheitert", sagt Chaled al-Maani, ein jordanischer Unterstützer des Islamischen Staates.

Westliche Beobachter sehen den ideologischen Wettstreit zwischen ISIS und Al-Kaida mit Sorge. Um dem aufstrebenden Ableger etwas entgegen zu halten, könnte Al-Kaida auch weiterhin auf seine Terrortaktik setzen, warnt der Wissenschaftler Aaron Zelin vom Washington Institute for Near East Policy. Damit wenigstens der Anschein von Legitimität gewahrt bleibe, könnte die Terrororganisation in ihrer Verzweiflung zum großen Schlag ausholen wollen und einen Anschlag ähnlich dem in Madrid 2004 oder 2005 in London planen.

Die größte Gefahr für ISIS stellt momentan aber womöglich die zu schnelle Ausdehnung des eigenen Einflussgebietes dar. Zu viel Hybris könne schnell wieder zu Verlusten von Territorium führen, schreibt der Terrorismusexperte J. M. Berger in seinem Blog auf der Webseite Intelwire. Jeglicher Gebietsverlust des Kalifats, der nicht von ausländischen Interventionen herrührt - wie etwa US-Luftangriffe -, könnte Al-Baghdadi die führende Position kosten, die er derzeit bei jungen Jihadisten innehat. Momentan sehen die ihn nämlich nur von Sieg zu Sieg eilen.

Kommentare