Weder Investor noch Jude: George Santos, der Hochstapler im Kapitol
Der republikanische Kongressabgeordnete sorgte mit einem beschönigten Lebenslauf für Aufregung. Zurücktreten will George Santos – wenn er denn wirklich so heißt – aber nicht.
01.02.23, 11:30
aus Washington Dirk Hautkapp
Jimmy Fallon, Stephen Colbert, Bill Maher, Jimmy Kimmel, auch "Saturday Night Live" – die Champions League der amerikanischen TV-Spätabend-Quasselstrippen und Comedy ist gerade einem auffälligen Herdentrieb erlegen. Keiner verzichtet auf die jüngste Washingtoner Polit-Freakshow, in der es ausnahmsweise mal nicht um Donald Trump geht. Sondern um George Santos. Wenn er denn wirklich so heißt.
Seit der pummelige republikanische Hornbrillenträger bei den jüngsten Wahlen für den 3. Kongressbezirk von New York City ins Kapitol eingezogen ist, vergeht kein Tag, an dem sich der aus Brasilien stammende Jung-Politiker (34) nicht als besonders abgefeimte Version eines Hochstaplers erweist.
So hat sich Santos, um sich bei Wählerinnen und Wählern interessant(er) zu machen, eine Biografie herbeigelogen, in der von der Schul-Ausbildung bis zur Religionszugehörigkeit so gut wie nichts stimmt. Auch der Name vielleicht nicht. Santos firmierte bereits unter Anthony Devolder. Und Zabrovsky.
Mutter starb bei 9/11 – oder doch nicht?
Die Best-of-Liste seiner mitunter monströsen Phantastereien ändert sich im Wochentakt. Im Moment rangiert weit oben, dass Santos' Mutter am 11. September 2001 bei den Terror-Anschlägen auf das World Trade Center in New York ums Leben gekommen sei. In Wahrheit war die Dame zu jener Zeit in Brasilien und sehr lebendig.
Auch dass der nach Scheidung von einer Frau offen schwul lebende Santos bestreitet, jemals als "Drag-Queen" unterwegs gewesen zu sein, wirkt haltlos, seit Videos aus Brasilien aufgetaucht sind, die ihn in einschlägigen Frauenkostümen zeigen. "Ich war jung und hatte Spaß am Leben", verteidigt sich Santos inzwischen sinngemäß.
Zu den bizarren Episoden gehört seine Behauptung, als Gutmensch einen Tierschutzverein gegründet und Tausende Katzen gerettet zu haben. In Wahrheit veruntreute Santos 3.000 Dollar, die auf einem Spendenkonto eingegangen waren. Ein Militär-Veteran wollte damit die Operation seines an Krebs erkrankten Hundes bezahlen. Das Tier starb ohne Behandlung.
Weder Goldman Sachs-Investor noch Jude
Was seine Qualifikation angeht, musste Santos bereits die weiße Fahne hissen. Weder hat er am elitären Baruch-College studiert – und somit dort auch kein Volleyball-Stipendium bekommen und ergo wegen des angeblich enormen physischen Verschleißes auch keine künstlichen Kniegelenke. Auch feierte Santos als Investment-Fuchs bei Großbanken wie Goldman Sachs oder Citigroup, anders als behauptet, keine Erfolge: In den Personalakten der Konzerne taucht sein Name nicht auf.
Dass George Santos sich dem Publikum als "stolzer Jude" vorstellte (obwohl er Katholik ist), dass seine Großeltern in Brasilien geboren wurden (und nicht wie behauptet vor Hitlers Holocaust dorthin geflohen waren), hat die "jewish community" in New York mehr als erzürnt.
Der Baron von Münchhausen-Faktor seiner Vita, die von der Staatsanwaltschaft und den Ethik-Organen des Parlaments durchleuchtet wird, lässt im Vergleich den für zehntausende Unwahrheiten bekannt gewordenen Ex-Präsidenten Trump beinahe als Waisenknaben erscheinen.
Mittlerweile berichten US-Medien, Santos würde vorerst seine beiden Ausschussposten für kleine Unternehmen und Wissenschaft, Raumfahrt und Technologie aufgeben. Das habe der Republikaner seinen Parteikollegen am Dienstag bei einer nicht öffentlichen Fraktionssitzung mitgeteilt. An seinem Mandat als Abgeordneter hält er jedoch weiter fest.
Bei den Republikanern scheiden sich die Geister darüber: "Er hat Schande über das Repräsentantenhaus gebracht und wir betrachten ihn nicht als unseren Kongressabgeordneten", sagt der Vorsitzende Joseph Cairo.
Ein Rücktritt Santos’ wäre für die Republikaner im Repräsentantenhaus aber heikel: Bei den Kongresswahlen haben sie zwar die Mehrheit in der Kongresskammer errungen, allerdings ist diese hauchdünn (222 Sitze belegen die Republikaner, 212 die Demokraten). Sollte Santos zurücktreten, müsste es eine Neuwahl in seinem Wahlkreis geben. Es wäre nicht ausgeschlossen, dass die Demokraten den Sitz gewinnen. Die republikanische Mehrheit würde dann auf drei Sitze schmelzen.
Mehrheit der Republikaner für Neuwahlen
Die Republikaner dürften dieses Risiko mittlerweile lieber eingehen, als Santos weiter zu halten: Umfragen in Santos’ Wahlbezirk zufolge ist eine große Mehrheit der Republikaner für seinen Rücktritt.
Für Santos wäre es dann eine kurze Sitzung im Repräsentantenhaus gewesen. Für seinen Wahlkampf lieh er sich rund 700.000 Dollar bei einem Privatunternehmen, das angeblich 80 Millionen Dollar verwaltet. Bis heute ist die Spur des Geldes nicht nachvollziehbar. Santos legte keine Belege vor.
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