Hälfte von Bidens Amtszeit ist um: Was ihm gelang - und was nicht
Kurz vor dem zweiten Jahrestag seiner Präsidentschaft war Joe Biden als Seelentröster und Krisenhelfer unterwegs. Im von Regenfluten und Stürmen geplagten Kalifornien sicherte der Präsident wie nach jeder Natur-Katastrophe Hilfe aus Washington zu. Dort wird am Wochenende Halbzeit-Bilanz gezogen über einen Mann, der 80 Ist und bald seine Kandidatur für 2024 offiziell machen will.
Seine Zweijahres-Bilanz in „Plus“, „Minus“ und „Geht so“:
+ Gegen den historischen Trend, wonach der Chef im Weißen Haus und dessen Partei nach zwei Jahren kräftig abgestraft werden, haben Biden und die Demokraten bei den „midterms“ im November die Mehrheit im Senat verteidigt und die Verluste im Repräsentantenhaus minimal gehalten. Die Untergangs-Szenarien der Republikaner um Donald Trump und dessen Lüge vom Wahlbetrug wirkten nicht. Trotzdem bleiben Bidens Beliebtheitswerte unterdurchschnittlich.
+ Unter Joe Biden sind die USA wieder die unentbehrliche Nation des Westens geworden. Ohne seine Entschlossenheit und Beständigkeit gegen Russland wäre die Ukraine, die bis heute knapp 25 Milliarden Dollar Militärhilfe aus Washington erhalten hat, längst Putins Beute geworden, sagt das Gros der Analysten. Europa und die NATO profitieren nach Jahren der Ausgrenzung und Verächtlichmachung unter Trump besonders von Bidens Politik. Sie stellt das Gegenteil von Barack Obamas „leading from behind“-Strategie dar. Biden führt von vorn.
+ Wenn selbst Newt Gingrich, zu Zeiten von Bill Clinton der galligste konservative Gegenspieler der Demokraten, dem Präsidenten Anerkennung zollt, muss was dran sein an der Lesart, dass die Biden-Präsidentschaft bislang zu den produktivsten der vergangenen 50 Jahre zählt. Gingrich nennt u. a. die dreistellig milliardenschweren Investitionsprogramme in Infrastruktur und Klimaschutz; den verbesserten Krankenversicherungsschutz für Ex-Soldaten; die vor richterlichem Zugriff geschützte gleichgeschlechtliche Ehe; reduzierte Arzneimittelpreise; Wettbewerbsgesetze gegen die ökonomische Übergriffigkeit Chinas; die Förderung der heimischen Computerchip-Zulieferindustrie; bundesrechtliche Verschärfungen bei den Waffengesetzen; die Berufung der ersten afro-amerikanischen Frau in der Geschichte des Landes (Ketanji Brown Jackson) an den Obersten Gerichtshof.
- Mit 2,4 Millionen Menschen haben die USA im Zeitraum Herbst 2021–2022 so viele Übertritte an der Grenze zu Mexiko gehabt wie noch nie. Der Migrationsdruck wird voraussichtlich – neben der Wirtschaft – das beherrrschende Wahlkampf-Thema 2024. Während die Republikaner Abschottung und Grenzmauern propagieren, wollen die Demokraten das Recht auf Asyl nicht schleifen. Ein probates Mittel, um den Ansturm von Flüchtlingen zu senken, hat Biden nicht zu bieten.
- Der von Biden befehligte chaotische Abzug der US-Truppen aus Afghanistan, der die Machtergreifung der radikal-islamischen Taliban begünstigte, zig Todesopfer forderte und das Land – besonders Frauen und Mädchen – erneut ins Elend stürzte, gehört zu den Tiefpunkten der ersten Amtshälfte. Ein U-Ausschuss der Republikaner wird die Details aus dem Sommer 2021 demnächst rekapitulieren. Biden wird dabei nicht gut wegkommen, auch wenn eine klare Mehrheit der Amerikaner den Rückzug nach 20 Jahren. befürwortet.
- Das Krisen-Management des Weißen Hauses in der Affäre um hochgeheime Dokumente, die – ähnlich wie bei Donald Trump – unsachgemäß gelagert wurden, gilt als unterirdisch. Man ließ sich zwei Monate Zeit mit einer Erklärung. Dafür hat Biden jetzt einen Sonder-Ermittler am Bein. Seine jüngste Äußerung („Ich bedauere nichts“) klingt nach Trotz.
+/- Im Juni lag die Inflationsrate bei 9,1 %. Biden hat daran mit einem überdimensionierten Konjunkturprogramm bei Amtsantritt nennenswerten Anteil. Inzwischen liegt die Teuerungsrate bei 6,5 %. Die Spritpreise haben sich normalisiert, die Rezessionsängste sind gedämpft. Aber: 10,5 Millionen offene Stellen am Arbeitsmarkt offenbaren ein Missverhältnis. Biden hat zudem mehrere Vorhaben – kostenlose Community-Universitäten, stärkere Besteuerung von Unternehmen, dauerhafte Steuer-Vergünstigungen für Familien mit Kindern – einstampfen müssen, weil ihm bis ins eigene Lager hinein die Zustimmung verwehrt wurde.
+/- Joe Biden hat 97 Bundesrichter berufen, deutlich mehr als die Vorgänger Trump und Obama. Das Staatsdefizit stieg unter ihm von 27,7 Billionen $ auf 31,4 Billionen $; stärker als bei Donald Trump. Während seiner Präsidentschaft wurden 666 Millionen Corona-Impfdosen an Amerikaner verabreicht. Zeitgleich starben aber 680.000 Amerikaner an dem Virus, insgesamt waren es seit 2020 rund 1,1 Millionen.
+/- Für die Erneuerung von 43.000 reparaturbedürftigen Brücken im Land setzt Biden 40 Milliarden Dollar ein, insgesamt sind für die Wiederbelebung der Infrastruktur rund eine Billion $ vorgesehen. Ein Volumen, das es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat.
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