"Wasser für die einen - Kugeln für die anderen"

epa03806972 Egyptians supporting ousted president Mohamed Morsi attend a protest near Cairo University in Giza, Egypt, 29 July 2013. Egyptian authorities on 26 July ordered ousted president Mohammed Morsi to be detained for 15 days pending further investigations on charges of conspiring to carry out 'hostile acts' in the country, state-run newspaper al-Ahram online reported. Meanwhile, Morsi's backers and opponents were rallying for rival demonstrations across the country. EPA/MOHAMMED SABER
Für Muslimbrüder ist klar: Was in Ägypten passiert ist ein Coup und die Verletzung von Menschenrechten. Ein Interview mit Mona alQazzaz, Sprecherin der Muslimbruderschaft in Großbritannien.
Die Ägypterin Mona alQazzaz ist Sprecherin der Muslimbruderschaft in Großbritannien. Im Gespräch mit dem KURIER schildert sie die aktuelle Situation aus der Sicht der Mursi-Anhänger und spricht über ihren Bruder, der mit Mursi an einem geheimen Ort festgehalten wird.

KURIER: Was passiert in Ägypten gerade aus Ihrer Sicht?
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Mona alQazzaz
Mona alQazzaz, Spokesperson of egyptian Muslim Bro
Mona alQazzaz, Spokesperson of egyptian Muslim Brotherhood in UK
Mona alQazzaz: So wie wir das sehen, hat es seit 25. Jänner 2011 einen demokratischen Übergang gegeben – mit beständigen Gewinnern und Verlierern. Die Verlierer sind jetzt auf den Rücken der Panzer auf die politische Bühne zurückgekommen. An den Urnen haben sie verloren, mit Kugeln sind sie wiedergekommen.
Sprechen Sie über bestimmte Parteien?
Ich meine vor allem die Führer der Opposition, die in den vergangenen zweieinhalb Jahren jede Wahl verloren haben. Jetzt kommen sie, als ob sie die Führer dieses Landes wären. Sie haben mit dem Militär die größte Demokratie im Nahen Osten auf dem Gewissen. Deshalb sieht man jetzt Hunderttausende und Millionen Ägypter demonstrieren, in jeder Provinz des Landes. Fast 90 Prozent von ihnen sind keine Anhänger der Muslimbruderschaft. Das sind normale Ägypter, die für die Rückkehr der Demokratie demonstrieren. Gegen die Militärherrschaft.
Was erhofft sich die Armee von den Aktionen der letzten Wochen?
Weltweit ist die Rolle einer Armee, die Souveränität eines Landes zu schützen. Der Verteidigungsminister sollte eigentlich dem Oberbefehlshaber, dem gewählten Präsidenten gehorchen. Die Miglieder der Armee kontrollieren seit sechs Dekaden die Wirtschaft des Landes. Ihr Eingriff in den Staat kreiert eine Dysbalance, die keinen demokratischen Übergang mehr erlaubt.
Denken Sie, die Armee hatte Angst, diese Macht zu verlieren?
Sie würde ihre Straflosigkeit verlieren. Und alles, was sie über sechs Dekaden gewonnen hat. Mit den gut choreographierten Demos am 30. Juni wollte sie einen Militärcoup gegen die Demokratie verschleiern. Jeder weiß, dass der Tahrir-Platz mit seinen Seitenstraßen nicht mehr als eine halbe Million Menschen fassen kann. Die Art, wie der Militärrat die Zahl multipliziert hat, war lächerlich. Und jeder wusste das. Was wir in Ägypten sehen, ist ein Coup d’État. Es gab zwei Arten von Protest: Für den am Tahrir gab es Geschenke und Flaggen und kaltes Wasser. Für den anderen gab es Kugeln. Der Militärchef kann den Willen des Volkes nicht definieren. Das kann nur die Wahlurne.
Hat Mursi nicht auch Fehler gemacht?
Welcher Politiker macht denn keine Fehler? Keiner ist perfekt. Politik ist grau. Es war ein sehr schwieriges Jahr nach 60 Jahren Korruption und eineinhalb Jahren Missmanagement des Militärrates. Ein Jahr ist nicht genug. Und es geht nicht um Mursi. Es geht nicht darum, an der Macht zu sein. Wir können auch in der Opposition sein. Das ist auch eine wichtige Rolle. Aber die demokratischen Prinzipien, für die wir jahrelang gekämpft haben, sind verletzt worden.
Militärchef Al-Sisi ist von Mursi bestellt worden. Sie arbeiteten zusammen. Wann hat das geendet?
Für den Präsidenten kann ich als Repräsentantin der Muslimbrüder nicht sprechen. Er wurde gewählt und war Präsident aller Ägypter. Dann wurde er gekidnappt. „Zu seiner eigenen Sicherheit.“ Die Anschuldigungen sind lahm. Er soll für die Hamas gearbeitet haben. Es fällt auf, dass sie keine einzige Anschuldigung zu Korruption oder Betrug feststellen konnten. Weil er der sauberste Politiker war, den Ägypten je gesehen hat. Mein Bruder, ein Außenpolitikberater Mursis, wurde mit ihm festgenommen.
Sie haben Ihren Bruder seitdem nicht mehr gesehen?
Nein. Er hat keinen Kontakt zu Familie, Ärzten, Anwälten. Wir wissen nicht, warum, wo oder wie lange er festgehalten wird und in welchem Zustand er ist. Das ist ein Verstoß gegen seine Menschenrechte. Außerdem hat die Militärjunta TV-Sender und Zeitungen schließen lassen, politische Festnahmen gemacht und Konten eingefroren. Nach dem blutigen Militärputsch unterdrücken sie unsere freie Meinungsäußerung und setzen mit Waffengewalt durch, was er will.
Wen meinen Sie, wenn sie von „ihnen“ sprechen?
Das sind verschiedene Kräfte, aber sie sind alle auf einer Seite. Das Militär, das Innenministerium, und schließlich die Staatspolizei, die wir 2011 endlich losgeworden sind. Wir wissen, dass sie Folter praktiziert. Wir kennen ihre schmutzigen Techniken.
Denken Sie, dass die Angriffe auf die Proteste am 8. und 27. Juli geplant waren?
Es gab ja nicht nur diese zwei Attacken. Fast täglich wurden unschuldige Zivilisten angegriffen. Die Human Rights Watch hat selbst gesagt, dass es aussieht, als ob gezielt getötet wurde. Ich habe zwei Menschen verloren. Mein Cousin, der bei Protesten verletzt wurde, erzählte mir, dass Heckenschützen auf Menschen mit Kameras zielen. Sie wollen nicht, dass die Welt erfährt, was da abläuft. Und der Innenminister hat nicht einmal die unschuldigen Toten bedauert! Transparente Untersuchungen dazu wird es nie geben. Die Sicherheitskräfte haben auf Unbewaffnete geschossen. Vor diesen Demos wird jeder durchsucht. Du kannst gar nichts mitnehmen, was du als Waffe gebrachen könntest.
Glauben Sie, das war auch ein Angriff auf den politischen Islam?
Es geht nicht um den politischen Islam. Es geht darum, die Opposition zu treffen. Es sind ja nicht nur führende Mitglieder der Muslimbruderschaft in Haft, sondern auch Führer anderer politischer Parteien. Wenn die Generäle mit ihren Gegnern aus dem Lager des politischen Islam fertig sind, dann holen sie sich die nächsten Oppositionsfiguren. Sie würden gegen jeden vorgehen, der sich ihnen widersetzt. Das ist der Schritt zurück zu einem autoritären Militärregime. Es bringt uns zurück in die Zeit vor der Revolution von 2011.

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