Internationale Pressestimmen zur Protestwelle im Iran

Wie unangenehm könnten die Proteste für das iranische Regime werden? In den internationalen Medien sind die Meinungen geteilt.

Die Proteste im Iran waren am Dienstag Thema zahlreicher internationaler Zeitungskommentare:

La Repubblica (Rom): "Innere Protest macht Rohani fragiler"

"Die Slogans der Demonstranten sind klar: "Kein Gaza, kein Libanon, kein Syrien. Unser Leben für den Iran". Kurz gesagt: Gebt das Geld für uns aus und nicht für den Krieg. Sicherlich sind die Proteste auf echte Unzufriedenheit der Bevölkerung zurückzuführen, aber sie schüren auch die Rivalitäten innerhalb des Regimes (...). Dieser innere Protest - obwohl er nicht den Umfang einer Revolte hat - macht Präsident Rohani fragiler. Sein gemäßigter Kurs hat sich vor allem in besonders schwierigen Momenten als nützlich erwiesen. Und davon gab es nicht wenige. Das iranische Regime besteht aus vielen rivalisierenden Strömungen und es mangelt nicht an Kräften, die bereit sind, das Chaos auszunutzen, um ihre Interessen durchzusetzen."

El Pais (Madrid): "Rohani-Wähler enttäuscht"

"Auch wenn sich nur wenige Menschen trauen, an den Demonstrationen teilzunehmen, vertraut der größere Teil der öffentlichen Meinung keiner politischen Partei mehr. Die hohe Korruptionsrate und die Straflosigkeit, von der die meisten Finanzkriminellen in den letzten Jahrzehnten profitiert haben, hat die Iraner davon überzeugt, dass die Lösung nicht darin besteht, die eine oder die andere politische Koalition zu unterstützen. (...) Auf der anderen Seite haben die reformorientierten Medien vorgezogen, angesichts der Demonstrationen zu schweigen und in einigen Fällen Partei für die Wirtschaftspolitik Rohanis zu ergreifen, statt die Ursachen der Proteste zu analysieren. Damit haben sie die Bevölkerungsgruppen enttäuscht, die gewisse Hoffnungen auf einen Wandel hegten, als sie 2017 Hassan Rohani wiederwählten."

Liberation (Paris): "Alles ist möglich"

"Das iranische Regime hat sich so sehr auf die Außenpolitik konzentriert, dass es die Innenwirkung vergessen hat. Die Bevölkerung kann sich den Gürtel nicht noch enger schnallen, um den Eroberungsdurst seiner Führer zu stillen. Doch repräsentieren die Demonstranten das gesamte iranische Volk? Wird die Wut noch zunehmen und wird sie die Regierung schließlich beiseite fegen? Es ist noch zu früh, um das zu sagen. Aber in der Geschichte gibt es viele Revolutionen, die im Verdruss über den Brot- oder Reispreis ihre Wurzeln haben. Alles ist möglich."

Nepszava (Budapest): "Auch Islamische Revolution hat niemand vorhergesehen"

"Der Atomdeal (mit der anschließenden Aufhebung der Sanktionen) hat den erhofften Durchbruch in der Wirtschaft nicht gebracht. Denn Teheran steht vor demselben Dilemma wie die kommunistischen Länder (des Ostblocks), als sie sich Ende der 1960er-Jahre für wirtschaftliche Reformen öffneten: dass diese nämlich ohne politische Veränderungen nicht zu haben sind. (...) Teheran lässt den Investoren keine freie Hand und subventioniert mit enormen Summen die schiitischen Milizen in der Region. (...) Vorerst deutet nichts darauf hin, dass im Iran eine neue Revolution vor der Tür stünde. Doch der persische Staat war stets für Überraschungen gut. Auch die Islamische Revolution von 1979 hat niemand vorhergesehen."

De Telegraaf (Amsterdam): "Regime in Gefahr"

"Die Demonstranten sind vor allem wütende Arbeiter, die entgegen aller Versprechungen von Präsident Hassan Rouhani nicht von der Aufhebung von Sanktionen durch den Atomdeal profitieren konnten. Ähnlich wie die Inflation bewegt sich die Arbeitslosigkeit weiter im zweistelligen Bereich. Die Mittelklasse in den großen Städten hat sich bisher nicht hinter die Proteste gestellt und der Bewegung, wenn man sie überhaupt so nennen kann, fehlt ein politischer Führer. Die Anführer der Reformbewegung von 2009 stehen immer noch unter Hausarrest. Dennoch ist das Regime in Gefahr. Die Nutzung sozialer Medien, die einst die Arabische Revolution antrieb, ist trotz erheblicher Einschränkungen durch die iranische Regierung, viel stärker verbreitet als noch während der sogenannten Grünen Bewegung (den Protesten nach der Präsidentschaftswahl 2009). Zudem könnte ein hartes Durchgreifen der Revolutionsgarden wie bei früheren Unmutsbekundungen nicht nur zum Verlust internationaler Unterstützung führen, sondern die Unruhen im Land noch weiter anfachen."

Baseler Zeitung: "Iranischer Frühling noch nicht in Sicht"

"Die Szenen aus Iran erinnern zwar an den Anfang des Aufstands in Ländern wie Tunesien oder Ägypten vor sieben Jahren. Aber die Demonstrationen in Iran stellen derzeit keine Gefahr für das Regime dar. Es verfügt zum einen über genügend Möglichkeiten, den Aufstand zu beenden: mithilfe seiner Propagandamaschine in den Moscheen, seiner Polizei und seines Militärs. Zudem haben die Demonstranten - zumindest bisher - weder eine Führung noch ein Programm, die der Protestbewegung eine Richtung geben und konkrete Ziele stecken könnten. Ein iranischer Frühling ist deshalb - leider - noch nicht in Sicht."

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