Informationskrieg oder Krieg gegen Informationen
Pressefreiheit, das war eines der Ziele der Revolution in der Ukraine vor fünf Jahren. Und es war ein Ziel, das mit Nachdruck verfolgt wurde. Neue Sender mit neuen Finanzierungsmodellen poppten auf. Und plötzlich war ein Mini-TV-Sender, produziert von einer Hand voll hochprofessionellen Jung-Journalisten, der sich ausschließlich über youtube verbreitete, die Station mit der größten Reichweite in der Ukraine. Auch ein öffentlich rechtlicher Kanal sollte aufgebaut werden. Die Medien sollten aus den Klauen der Oligarchen befreit werden. Die Grundstimmung markierte ein grundsätzliches Misstrauen gegen die etablierten Medien, sie vereinte sich mit dem Ruf nach einem Neuanfang. Und dieses Vakuum füllten Profis.
Fünf Jahre nach der Revolution, der Annexion der Krim, dem Beginn des Krieges in der Ostukraine und knapp vor den Präsidentenwahlen Ende März stellt sich die Frage: Gab es den verlangten Neuanfang? Was ist geblieben vom Anfangselan? Wenn Journalisten in der Ukraine heute nach den Umständen ihrer Arbeit gefragt werden, beginnt die Antwort zumeist mit einem langen Seufzer und nicht selten mit der Floskel: „Wo soll ich anfangen?“
Der Fall von ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz ist der letzte in einer Reihe. Er wurde mit einem Einreiseverbot belegt. Der Anlass: Ein Dreh an der Brücke zwischen der von Russland annektierten Krim und dem russischen Festland. Hintergrund: Die Krim gehört formal nach wie vor zur Ukraine, wer dort hin reist, braucht eine Genehmigung der ukrainischen Behörden, kann von dort aber nicht nach Russland weiterreisen. Andernfalls lautet der Vorwurf: Illegaler Grenzübertritt. Wehrschütz dementiert die Vorwürfe und nennt sie „Schwachsinn“. Zu diesem Vorwurf und den der Propaganda für Russland sagt er: „Ein Vorwurf absurder als der andere“. Und wieso das alles? „Weil ich mir von denen nichts gefallen lasse.“
Aber das ist nur einige der Fallstricke für Journalisten in der Ukraine.
Es dauerte nicht lange nach der Revolution, bis Reporter und Stations-Vorstände nach den Jahren unter dem autokratisch regierenden Präsidenten Viktor Janukowitsch und der Freiheit während der Revolution erneut auf zähen Widerstand stießen – etwa, wenn es um Korruption in den Reihen der neuen Eliten ging, aber auch wenn es etwa um Selbstkritik ging was die Berichterstattung über den Krieg im Donbass oder die Patriotismuswelle in der Ukraine angeht. Wie soll man etwa die von Russland gestützten Milizen in der Ukraine benennen? Sind das Terroristen, wie sie die Regierung nannte? Mit Terroristen verhandelt man nicht. Soll man mit diesen Leuten verhandeln? Soll man mit Russland verhandeln?
Es gab Verfahren in denen Journalisten gezwungen wurden, ihre Quellen in heiklen Fällen offen zu legen, es gab Entlassungen hochkarätiger, integrer Personen (die zum Teil nach Protesten wieder zurückgenommen wurden), den Entzug von Akkreditierungen, es gab Einreiseverbote für ausländische Journalisten. Es gab Medienkampagnen zugunsten diverser Anliegen oder Personen, wohl betrieben von Eigentümern der jeweiligen Medienhäuser.
Es ist ein sensibles Feld. Vor allem auch, weil es nicht zuletzt Medien waren, die das Feld bereitet hatten für die Annexion der Krim und den Krieg im Osten des Landes. Vor allem russische Medien hatten gezielt durch Falschinformationen Hass gegen die Regierung in Kiew gesät. Und es waren russische Medien, die die Informationshoheit über den gesamten Osten und Süden der Ukraine hatten. Wen also ins Land lassen und wen nicht? Welchen Stationen Sendelizenzen erteilen und welchen nicht? Welche Nachrichten-Seiten und Sozialen Medien im Netz blockieren und welche nicht? Was ist Propaganda und was Information?
StopFake war eines der Medienprojekte in der Ukraine, die bis nach Westeuropa einen ganzen journalistischen Zweig wiederbelebten: Den Faktencheck. Die Seite macht nichts anderes, als Sensationsberichte auf ihren Tatsachengehalt zu prüfen und etwaige Falschmeldungen als solche zu entlarven. Und nur um das Ausmaß dieses Feldes zu veranschaulichen: Damit lässt sich in der Ukraine eine ganze Nachrichtenseite bespielen. Die allermeisten Falschmeldungen kommen aus Russland, viele aber auch aus der Ukraine selbst. Auch die EU hat mittlerweile eine Stelle eingerichtet, die nichts anderes tut, als Falschmeldungen als solche zu identifizieren.
Eugen Fedchenko ist Chefredakteur von StopFake und Direktor der Journalistischen Fakultät der renommierten Mohyla Universität in Kiew. Er sieht durchaus eine Gratwanderung zwischen staatlichen Schranken und Zensur. Letztlich aber so sagt er, sei es legitim für einen Staat, der sich in einem Krieg befinde, Informationsquellen zu sperren, über die der Staat und die Demokratie unterminiert werde – bei allen Problemen und Defiziten. Sein Fazit: Es gebe Probleme in der Ukraine, auch im Medienbereich, aber nach wie vor sei das Land ein Hort der Meinungsfreiheit im post-sowjetischen Raum. Den Bürgern stehe eine Vielfalt an Informationsquellen zur Verfügung, die eine großes Meinungsspektrum abdeckten – von offen pro-russisch bis antirussisch. Zum Fall Wehrschütz sagt er: Ausländische Journalisten dürften einfach nicht über dem Gesetz stehen.
Die Menschenrechtsaktivistin Irina Tekuchowa hat aber vor allem eines beobachtet über die vergangenen Jahre: Eine Eskalation der Sprache. Herabwürdigende Bezeichnungen vor allem in Richtung Moskau und Russland-zugeneigten Personen seien im medialen Gebrauch häufiger geworden, sagt sie. Zum Teil geschehe das gezielt, zum Teil aber unbewusst. So oder so führe das aber dazu, dass Feindbilder geschaffen würden und sich die Gesellschaft entzweie.
In der Ukraine selbst war es der Fall des Chefs des öffentlich rechtlichen Rundfunks, der das Thema Zensur in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte. Der streitbare Journalist Zurab Alasania war überraschend gefeuert worden und berief dagegen. Eine Protestwelle war die Folge. Seine Entlassung wurde bis nach der Wahl zumindest einmal aufgeschoben.
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