In China wächst der Unmut über die Corona-Maßnahmen
32 neue Corona-Fälle registrierte das 1,4-Milliarden-Land China am Dienstag, im kleinen Österreich waren es mehr als 10.000 Neuinfektionen. Während Europa gegen die vierte und bisher heftigste Welle der Pandemie kämpft, scheint sie in der Volksrepublik längst besiegt. Peking ist stolz auf den Erfolg seiner Null-Covid-Strategie. Doch der Preis für die geringen Infektionsraten ist hoch, in der Bevölkerung wächst der Unmut über die drakonischen Maßnahmen.
Besonders leiden die Menschen in der Stadt Ruili an der Grenze zu Myanmar darunter. Schmuggler und Flüchtlinge schleppen das Virus dort immer wieder ein. Beim geringsten Verdacht einer Infektion wird die Stadt abgeriegelt und alle 210.000 Einwohner werden getestet. Ein Kleinkind dort habe bereits 70 Tests über sich ergehen lassen müssen, berichtet die Lokalzeitung.
Aus Angst vor Quarantäne traut sich kaum mehr ein Tourist nach Ruili. "Wir arbeiten zwar weiter, aber wir kommen gerade so über die Runden", sagt der Schmuckhändler Lin. Aus Angst vor Repressalien will er seinen vollen Namen nicht nennen.
Selbst der frühere Vize-Bürgermeister, Dai Rongli, empört sich über die strenge Pandemie-Politik. Dadurch würde auch noch "das letzte Leben" in der Stadt erstickt, machte er seinem Ärger im Internet Luft. "Nur wer es selbst erlebt, weiß, wie sehr die Menschen leiden", kommentierte eine Einwohnerin den Beitrag.
Seit Beginn der Pandemie vor knapp zwei Jahren in Wuhan zählte China offiziell weniger als 100.000 Covid-Infektionen, den letzten Todesfall gab es im Jänner. Dennoch reagieren die Behörden beunruhigt auf jeden kleinen Ausbruch - vor allem mit Blick auf die Olympischen Winterspiele in Peking im Februar.
In den vergangen Wochen wurden wieder ganze Städte unter Quarantäne gestellt, Millionen Chinesen dürfen ihre Wohnung nicht verlassen. Die Stadt Heihe an der russischen Grenze hat eine Belohnung von 100.000 Yuan (13.500 Euro) für Informationen ausgelobt, die den Ursprung des jüngsten Ausbruchs aufklären.
Offiziell wird die radikale Null-Covid-Politik der Volksrepublik nicht infrage gestellt. Ein renommierter chinesischer Virologe kritisierte vor Kurzem dennoch die Strategie der Regierung. Es sei illusorisch, auf diesem Weg das Virus ausrotten zu wollen, sagte Guan Yi in einem Interview mit dem Hongkonger Sender Phoenix TV. Außerdem bezweifelte er die Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe, die als deutlich geringer gilt als die der im Westen verwendeten Vakzine.
Peking sei "einem wachsenden innenpolitischen Druck ausgesetzt, einen flexibleren Ansatz zu verfolgen", sagt Yanzhong Huang von der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations. Die meisten Experten bezweifeln jedoch, dass die Regierung vor den Olympischen Spielen und vor dem Parteitag der Kommunistischen Partei Ende 2022 bei der Pandemiebekämpfung umsteuert.
Doch der Widerspruch in der Bevölkerung wächst, auch gegen die Überwachung durch die Gesundheits-App. In Online-Netzwerken sorgte der Fall eines Pekinger Geschäftsreisenden für Wirbel, der wegen der App nicht nach Hause zurück durfte, obwohl er geimpft und negativ getestet war und sich auch nicht in einem Risikogebiet aufgehalten hatte. Inzwischen räumten die Behörden Fehler in einigen Fällen ein.
In Zentralchina prügelten Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes einen Hund tot, als seine Besitzer unter Quarantäne gestellt waren. Auch dieser Vorfall löste einen Sturm der Entrüstung im Internet aus. "Kann man einem Staat noch vertrauen, der behauptet, dem Volk zu dienen, aber das Gesetz so brutal anwendet?", lautete einer der Kommentare.
In Ruili sind mittlerweile manche Menschen so verzweifelt, dass sie wegen der Corona-Maßnahmen die Stadt verlassen. "Die Kinder können nicht mehr normal zur Schule gehen", sagt ein Einwohner namens Wen. "Wir haben beschlossen zu gehen."
Kommentare