Zumeist handelt es sich um die brasilianische Mutante, die offenbar weit gefährlicher und aggressiver ist. Eine Erfahrung, die Krankenschwester Polyena Silveira mehrfach selbst erlebt hatte: „Dieses Virus ist viel stärker als das, das wir vor einem Jahr hatten.“ Silveira wurde in diesen Tagen bekannt, weil ein Foto von ihr durch die brasilianischen Medien ging. Es zeigt die Krankenschwester in einer Erstaufnahmestation in Teresina im nordöstlichen Bundesstaat Piaui auf dem Boden sitzend. Neben ihr ein sterbender Patient, dem niemand mehr helfen kann, weil alle Betten belegt sind.
Ähnlich die Situation in den großen Ballungsräumen São Paulo und Rio de Janeiro: Auch dort stehen die Kliniken vor dem Kollaps, es fehlt an allem. Und dabei kommt der große Schwung an Patienten, erkrankt in der jüngsten Welle, erst noch.
"Viel ansteckender"
Einer, der das alles vorhergesagt hat, ist Manaus’ Bürgermeister David Almeida, weil die Amazonas-Stadt schon länger Erfahrung mit der dritten Welle hat. Die Mutation stammt mutmaßlich aus der Region. „Erwarten Sie das Schlimmste, erwarten Sie etwas, das Sie noch nie gesehen haben“, hatte Almeida schon vor gut zwei Wochen gesagt. „Ein Patient, der früher zehn Tage lang im Spital war, bleibt jetzt 30 Tage. Die Variante ist viel ansteckender, viel stärker. Die Patienten bleiben viel länger auf der Intensivstation und brauchen die gesamte Aufmerksamkeit des Personals.“
Zugleich ist das Impfmanagement schlecht. Nur im Bundesstaat Amazonas zeigen sich Erfolge: Dort wurden bereits 14,5 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft, was einen positiven Effekt auf die Neuinfektionen hatte. In allen übrigen Landesteilen liegt dieser Wert deutlich darunter. Mit ein Grund dafür: Brasilia hat wie Brüssel bei der Impfstoffbesorgung zu lange gezögert, obwohl das Land sogar Schauplatz zahlreicher Testreihen war. Nun hat die Yale-Wissenschaftlerin Akiko Iwasaki via BBC Brasil einen Hilferuf an US-Präsident Joe Biden abgesetzt: Er möge Impfdosen des Typs Biontech/Pfizer oder Moderna zur Verfügung stellen.
Für die gesamte Misere wird nun Brasiliens rechtspopulistischer Präsident Jair Bolsonaro mehr und mehr verantwortlich gemacht, seine Umfragewerte weisen steil nach unten. Vertreter der Indigenen werfen Bolsonaro, der die potenziell tödliche Covid-19-Erkrankung anfänglich „Grippchen“ nannte, sogar gezielten Völkermord vor. In der Not scheint Brasiliens Staatschef, der sich kommendes Jahr der Wiederwahl stellen will, seinen Kurs ändern zu wollen. Er berief eine Krisenkommission ein. Das war ein Vorschlag von Ex-Präsident Lula da Silva, der seit der Annullierung eines umstrittenen Korruptionsurteils gegen ihn wieder auf der politischen Bühne zurück ist. Lula brachte auch einen
G-20-Impfgipfel ins Spiel. Die reichen Industrieländer müssten die armen Länder des Südens unterstützen.
Das ist eine Forderung, die auch aus der Wissenschaft kommt. Begründung: Weil nur gleichzeitig durchgeimpfte Bevölkerungen weltweit das Risiko minimieren würden, dass weitere gefährliche Mutationen entstehen, dürften die reichsten Länder nicht nur an sich denken.
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