"Absurd": Die Welt gibt mehr für Atomwaffen aus als für Pandemie-Vorsorge

Raketentest in Nordkorea
Rekordwert seit dem Kalten Krieg: Vor allem die USA geben laut neuem Bericht enorm viel für Kernwaffen aus. Die Summen könnten sich bald noch erhöhen - die letzten Abrüstungsverträge laufen aus.

"Es ist absurd", sagt Beatrice Fihn, Direktorin von ICAN: Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete NGO zur Abschaffung von Atomwaffen hat eruiert, dass im Jahr 2019 so viel Geld für neue Atomwaffen ausgegeben wurde wie zuletzt im Kalten Krieg – 72,9 Milliarden Dollar waren es, um genau zu sein.

Das ist nicht nur für sich genommen ein hoher Wert, sondern auch ein heftiger Sprung im Vergleich zum Jahr davor. Um gut sieben Milliarden mehr wurde vergangenes Jahr in Nukleararsenale investiert. Auch die Gesamtausgaben für militärische Ausgaben stiegen zwischen 2018 und 2019 stark, so ICAN.

USA, China, UK geben am meisten aus

Den Löwenanteil davon haben die USA zu verantworten. Allein 35,4 Milliarden gehen aufs Konto der Vereinigten Staaten, gefolgt von China (10,4 Milliarden Dollar), Großbritannien (8,9) und Russland (8,5). Danach folgen Frankreich (4,8 Milliarden Dollar), Indien (2,3), Israel und Pakistan (1) und Nordkorea (0,6).

Wenig überraschend nutzt die Schweizer NGO, die sich seit 2007 für die Abschaffung aller Atomwaffen einsetzt, das angesichts der grassierenden Coronavirus-Pandemie für einen Vergleich mit den Gesundheitsausgaben. „138.700 Dollar werden pro Minute für Waffen ausgegeben, die katastrophale Folgen für die Menschheit haben, anstatt das Geld in den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zu investieren“, sagt Fihn. „Diese Länder entziehen sich der Verantwortung, ihre Bürger zu schützen.“

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Eine US-amerikanische Minuteman-Rakete ohne Sprengkopf

Wenig Geld für Seuchenbekämpfung, viel für Atomwaffen

In Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den USA könnten stattdessen zumindest 100.000 Intensivbetten, zehntausende Beatmungsgeräte und ebenso viele Jahresgehälter für Ärzte und Pflegepersonal finanziert werden, so die ICAN-Chefin. In den USA etwa beträgt das laufende Budget der CDC, der Centers for Disease Control and Prevention, 6,6 Milliarden Euro, umfasst also nur ein Fünftel der US-Ausgaben für neue Atomwaffen. Die Trump-Administration hat der Einrichtung in den vergangenen Jahren deutlich die Mittel gekürzt.

Das Pentagon plant zudem, in den kommenden drei Jahrzehnten die Summe von 1,7 Billionen auszugeben, um eine neue Generation von Nuklear-Bombern, Atomraketen und Atom-U-Booten zu bauen. Russland hat ähnliche Pläne, wenn auch nicht in so großem Maßstab. 

Abrüstungsabkommen läuft aus

Dazu kommt, so ICAN, dass die Käufe der Waffen in die Vernichtung von öffentlichem Geld münden könnten – denn bald könnten eben diese Waffen nicht mehr nutzbar sein. Der von der UNO initiierte und 2017 von 122 Staaten ratifizierte Atomwaffenverbotsvertrag untersagt nämlich den Erwerb, die Produktion und jegliche militärische Nutzung von Kernwaffen. Freilich, bisher ist der Vertrag zahnlos, denn alle offiziellen und auch die De-facto-Atommächte wie Pakistan, Indien und Israel nahmen an den Verhandlungen gar nicht teil.

Vermutlich wird sich sogar Gegenteiliges abspielen, vermuten Militärexperten. Das letzte Abrüstungsabkommen, das einen Rüstungswettbewerb zwischen den USA und Russland regelt, läuft nämlich im Februar 2021 aus. Ein Nachfolgevertrag ist derzeit nicht in Sicht, da die beiden Länder derzeit wohl die schlechteste Gesprächsbasis seit langem haben. Zwar hat Russland die Bereitschaft für eine Verlängerung signalisiert, doch US-Präsident Trump habe derzeit kein Interesse, analysiert die Federation of American Scientists.

Deren Prognose ist nicht gerade erfreulich. Ohne Abkommen hätten die USA und Russland erstmals seit 1972 keinerlei Restriktionen bei Atomwaffen, an die sie sich halten müssen – und das könnte einen neuen Nuklearwettlauf provozieren.

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