Homosexuelle Sportler wollen nach Sotschi
Zwei österreichische Ski-Idole, zwei Meinungen. Hermann Maier fährt nicht nach Sotschi und sprach konkret das Homosexuellen-Gesetz an: „Dieses Denken ist einfach nicht mehr angebracht.“ Karl Schranz findet Maiers Aussagen „unnötig und sinnlos“. Aber was sagen aktive Sportler zu einem Boykott der Spiele?
Ein solcher ist aber bisher kein Thema. So sagt die Skispringerin Daniela Iraschko-Stolz: „Solche Sanktionen müssen gefälligst andere Institutionen machen. Politiker vielleicht. Aber da geht’s dann wahrscheinlich um zu viel Geld und um Interessen der Wirtschaft.“ Die 29-Jährige hat letztes Jahr ihre Partnerin geheiratet und wird immer und immer wieder auf das Thema der Diskriminierung Homosexueller in Russland angesprochen. „Es gibt eben nur wenige Sportler, die offen mit der Homosexualität umgehen und noch aktiv sind. Jeder, der mich und meine Einstellung kennt, weiß, dass kein Mensch mit so einem Gesetz zufrieden sein kann. Nur: Ich werde dieses Gesetz nicht ändern können.“ Seit Ende Juni gilt das Gesetz, das „Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen“ in Anwesenheit Minderjähriger verbietet. Ein Verzicht auf die Spiele kommt für sie daher nicht in Frage. „Ich bin zum Skispringen dort, da wird mir auch keiner dreinreden.“ Ihre Partnerin kommt nicht zu den Winterspielen nach Russland mit. Lapidare Erklärung: „Es hat keinen Sinn, etwas zu provozieren.“
Blake Skjellerup würde gerne in Sotschi auf die Diskriminierung Homosexueller hinweisen. Für den schwulen Shorttrack-Eisläufer aus Neuseeland kommt ein Boykott nicht in Frage – angesichts des Auftritts von Jesse Owens in Berlin 1936 und der Black-Power-Geste der US-Sprinter 1968. Skjellerup: „Für mich ist es wichtig, meine Identität zu zeigen. Ich bin stolz darauf. Wer sich versteckt, ist nicht sichtbar. Ich hoffe, dass die Menschen in Russland meine Geschichte hören.“ Vorerst aus der Distanz. Denn Skjellerup wurde bei der Olympiaqualifikation 33. – 32 dürfen starten. Er muss hoffen, dass ein Sportler verzichtet, damit er bei den Spielen einen Pin in Regenbogenfarben tragen kann – das Symbol der LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans)-Comunity.
Der österreichische Sportminister wird schon bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Sotschi dabei sein. „Ich halte es für eine durchaus vertretbare Vorgangsweise, Frankreich geht einen analogen Weg“, sagt Gerald Klug. Bundeskanzler Werner Faymann fährt ja auch.
Schwedens Sportministerin hat ihre Teilnahme unter Hinweis auf demokratiepolitische Mängel und die restriktive Politik gegenüber Homosexuellen diese Woche abgesagt. Wie Lena Adelsohn Liljeroth bleibt auch Premier Fredrik Reinfeldt den Spielen fern.
Und der finnische Sportminister Paavo Arhinmäki fährt wegen der Menschenrechtslage und des Umgangs mit Umweltproblemen nicht zur Eröffnung, will aber möglicherweise später die finnischen Sportler in Sotschi besuchen – schließlich fahren ja auch der Staatspräsident und der Regierungschef hin.
Treffender lässt sich der internationale Pallawatsch, ob die Olympischen Spiele politisch zu boykottieren seien oder nicht, kaum darstellen. Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck war einer der Ersten, der seinen Besuch in Sotschi strich – ohne Angabe von Gründen. Die Russen werteten es dennoch als Boykott (und Kanzlerin Merkel ist laut Spiegel über die Gauck-Absage verärgert). EU-Justizkommissarin Vivian Reding bleibt Sotschi mit dem Hinweis auf die Lage der Minderheiten in Russland fern. Die USA werden keine Kabinettsmitglieder nach Sotschi schicken, dafür gehört der Delegation des Weißen Hauses die lesbische frühere Top-Tennisspielerin Billie Jean King an.
„Es ist wichtig, bei Menschenrechtsverletzungen nicht wegzusehen, sondern Zeichen zu setzen“, sagt Österreichs Außenminister Sebastian Kurz zum KURIER. Das könne man „durch nicht hinfahren, aber auch durch hinfahren und das Thema ansprechen“. Er werde nicht zu den Spielen reisen, weil das für den Außenminister auch bisher nicht üblich gewesen sei. Wie sollten Faymann/Klug in Sotschi das Thema ansprechen? „Ich bin nicht in der Rolle, Vorschriften zu machen“, sagt Kurz, aber er sei überzeugt, dass ihnen Menschenrechte ein Anliegen seien.
Hotels mit futuristischen Fassaden, Shopping Malls mit Designer-Boutiquen, Schnellstraßen, hypermoderne Nahverkehrszüge. Ein lauer Wind streicht durch die Palmen an der Uferstraße, wo Sonnenhungrige die Cafés bevölkern und auf das Schwarze Meer blicken. Am Horizont bohren sich die verschneiten Dreitausender des Nordwest-Kaukasus in den Himmel. Sotschi, wo am 7. Februar die Olympischen Winterspiele eröffnet werden, fühlt sich an wie ein Stück von jenem „Land der Träume“, wie Regierungschef Dmitri Medwedew Russland porträtierte.
Dabei galt die Stadt bei der Vergabe der Spiele als Outsider: subtropisches Klima, marode Infrastruktur, sowjetische Servicementalität, Sicherheitsbedenken. Zwei Jahre zuvor hatten Terroristen nur 500 km entfernt – in Beslan – in einer Schule über 1000 Geiseln genommen. Mehr als 300 starben. Unruhig war es auch in Russlands anderen nordkaukasischen Teilrepubliken. Keine 40 km von Sotschi und nur einen Steinwurf vom Olympischen Dorf entfernt, verläuft die Grenze zu Georgiens abtrünniger Region Abchasien.
Sotschi 2014: Die teuerste Olympiastadt aller Zeiten
Nicht kleckern, sondern klotzen
Es stand also grottenschlecht. Für Sotschi und damit für Russland. Für den Endkampf 2006 war Präsident Wladimir Putin das Beste daher gerade gut genug: Er selbst. Gesiegt habe er allein durch Charisma, behaupten seine Fans. Quatsch, ätzten die Gegner. Das „Wunder von Guatemala“ sei ein Gemeinschaftswerk alter Maya-Götter und moderner Lobbyisten. Putin kehrte als Sieger heim, ein paar Wochen später rückten in Sotschi die ersten Planierraupen und Abrissbirnen an. Und hinter den Kulissen begann das Gerangel von Russlands goldener Horde um den Zuschlag für Bauaufträge. Es galt: Nicht kleckern, sondern klotzen. Die Spiele sind Putins Prestigeprojekt.
Doch die Spiele von Sotschi dürften mit fast 50 Mrd. US-Dollar nicht nur als die bisher teuersten in die Geschichte eingehen, sondern auch als die skandalträchtigsten. Hunderte Hausbesitzer wurden vertrieben. Ihr Platz wurde für das Eisstadion und das Olympische Dorf gebraucht. Abgefunden wurden sie mit Summen weit unter dem Marktwert. Noch rabiater sprangen die Bauherren mit ausländischen Arbeitsimmigranten um. Wettkampfstätten und Infrastruktur der Spiele würden auf den Knochen von miserabel entlohnten, wie Sklaven ausgebeuteten Gastarbeitern errichtet, warnt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einem Report. Dieser, so heißt es in dem Papier, wäre für das IOC eine gute Gelegenheit, von Russland „Achtung von Menschenrechten und Menschenwürde“ zu fordern. Eine vergeigte Gelegenheit.
Für den Kampf von Umweltschützern konnte sich das IOC auch nicht begeistern und verließ sich auf das Organisationskomitee, das die Spiele als „grün“ verkaufte. Auch zur Tragödie der Tscherkessen – der Ureinwohner der Region um Sotschi – drückten sich die Herren der Ringe vor klaren Worten. Der über hundertjährige Vernichtungsfeldzug, den das Zarenreich gegen die Volksgruppe führte, endete vor 150 Jahren in Krasnaja Poljana, wo die alpinen Wettbewerbe stattfinden. Ihre Nachkommen waren bei der Vorbereitung der Spiele so wenig erwünscht wie Putins politische Gegner und sexuelle Minderheiten.
Internationale Gäste abgeschreckt
Die Organisatoren treibt derweil die Angst vor „rein russischen Spielen“ um. Von den 120.000 Fans, die Russland erwartet, werden womöglich 75 Prozent eigene Bürger sein. Die einen schreckt offenbar der Visumzwang ab, die anderen die totale Überwachung von Mobilfunk und Internet-Nutzung. Der Inlandsgeheimdienst FSB will so Geiseldramen und Anschläge verhindern. Denn das Terrorgespenst, das Russland längst in der Gruft wähnte, geht, wie die Tragödie in Wolgograd Ende Dezember zeigte, im Süden des Landes nach wie vor um. Nach der umstrittenen Befriedung Tschetscheniens hat sich der radikale Flügel der Guerilla in die anderen nordkaukasischen Teilrepubliken verzogen.
So lange Moskau diese Metastasen nicht in den Griff kriegt, kommt auch der Tourismus im Nordkaukasus nicht auf die Füße. Investoren fragen bang: Wie kriegen wir unsere Bettenburgen voll, wenn Olympia und der G-8-Gipfel im Juni vorbei sind? In Sotschi gibt es inzwischen 42.000 Hotelbetten, vor allem teure. Russen mit durchschnittlichen Einkommen können vom Familienurlaub im „Land der Träume“ daher weiter nur träumen.
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