Wie bei vielen Aktivisten steht auch hinter dem Engagement der 29-jährigen Hamira Kobusingye aus Uganda eine persönliche Geschichte. Die junge Frau wuchs in einem Armenviertel in Kampala auf. Ihre alleinerziehende Mutter kümmerte sich beruflich um HIV-infizierte Kinder. "Ich habe von klein auf beobachtet, wie Frauen für ihre Familien gekämpft haben", sagt die Aktivistin.
Für viele in ihrem Umfeld sei das Leben damals hart gewesen, aber: "Es waren die Mädchen, die die Schule verlassen mussten, früh verheiratet wurden und sehr jung Kinder bekommen haben." Mit 19 investierte Kobusingye ihr Erspartes in kleine, weiblich geführte Landwirtschaftsbetriebe, um die Frauen in ihrem Umfeld zu unterstützen.
Doch das Projekt scheiterte aufgrund eines klimabedingten Ernteausfalls. Da sei ihr klar geworden, dass viel mehr Probleme mit dem Klimawandel zusammenhängen, als sie bislang gedacht hatte - und Frauen in Afrika die Auswirkungen besonders zu spüren bekommen.
Der KURIER traf die Aktivistin im Büro des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC), auf dessen Einladung Kobusingye für einen kurzen Besuch nach Wien kam.
KURIER: Frau Kobusingye, Sie bezeichnen sich als feministische Klimaaktivistin. Inwiefern wirkt sich der Klimawandel auf Männer und Frauen unterschiedlich aus?
Hamira Kobusingye: Unsere Vorfahrinnen haben für so vieles gekämpft: dass wir Frauen Zugang zu Bildung haben, selbst über unseren Körper und unsere Familienplanung entscheiden können, nicht heiraten müssen, einen Platz am Tisch haben. Wenn es eine Naturkatastrophe gibt, gehen die Menschen in den Überlebensmodus über und diese Errungenschaften entwickeln sich dann oft zurück. Die Fälle häuslicher Gewalt steigen in Krisensituationen an. Oder Männer verschwinden einfach und lassen ihre Frauen mit dem Rest der Familie zurück.
Bei den jüngsten Trockenperioden am Horn von Afrika hat man junge Mädchen aus der Schule genommen und sie losgeschickt, um kilometerweit zu laufen und nach Wasser zu suchen. Wo ich herkomme, sind Frauen für die Lebensmittelbeschaffung zuständig. Alles, was einer Frau dabei hilft, unabhängig zu sein, wird noch immer als Luxus wahrgenommen. Dem gibt man in der Not keinen Platz.
Hamira Kobusingye ist eine ugandische Aktivistin für Klima- und Geschlechtergerechtigkeit und Gründerin des Kollektivs „Climate Justice Africa“. Sie hat ihr Leben dem Einsatz für Klimagerechtigkeit gewidmet, insbesondere der Überbrückung der Kluft zwischen Geschlechtergleichstellung und ökologischer Nachhaltigkeit. 2023 wurde sie mit dem renommierten Bremer Solidaritätspreis ausgezeichnet.
Während Europa versucht, seinen Energieverbrauch zu senken, haben 600 Millionen Afrikaner keinen Zugang zu Strom. Viele afrikanische Staatsoberhäupter verfolgen den Ansatz: "Erst die Förderung fossiler Brennstoffe, dann die nachhaltige Entwicklung".
Laut dem "Just Transition Africa Report" ist das Potenzial des Kontinents an erneuerbaren Energien 50 Mal größer als der für das Jahr 2040 erwartete weltweite Strombedarf.
Welche Auswirkungen des Klimawandels sind in Afrika bereits bemerkbar?
Überflutungen, Dürren, Hitzewellen, Erdrutsche. Die passieren normalerweise nicht in dem Ausmaß, in dem wir sie gerade beobachten. Sie beanspruchen Leben, Infrastruktur, Wirtschaft, Entwicklung, Kulturen, sogar die Hingabe der Menschen - im Grunde alles.
Werden diese Entwicklungen von der Bevölkerung und Politik ernst genommen und bekämpft?
Noch nicht, aber sie werden ja erst seit ein paar Jahren diskutiert. Als ich mit meinem Aktivismus begonnen habe, haben die meisten den Klimawandel noch geleugnet. Viele haben mir erklärt, der betreffe doch nur Weiße, sonst wäre er auch bei uns ein Thema. Im Laufe der Jahre sind die Menschen aufgewacht.
Ich bin schon gespannt, was zum Beispiel bei der Wahl in Uganda 2026 passieren wird. Meine Organisation hofft, dass Klima und Umwelt eine größere Rolle spielen werden. Wir bemühen uns, Bevölkerung, Politiker und Journalisten diesbezüglich besser aufzuklären.
2022 waren Sie mit einer Gruppe anderer ugandischer Klimaaktivisten auf „Klimamobilisierungstour“ in Europa unterwegs. Unter dem Slogan „Show us the Money!“ forderten Sie, dass die Länder im Globalen Norden Verantwortung für ihren Anteil an der Klimakrise übernehmen. Sie sprechen diesbezüglich auch von „Klima-Kolonialismus“. Was fordern Sie denn konkret von unseren Bürgern und Politikern?
Die Bürger müssen ihre Politiker zur Rechenschaft ziehen. Die Politiker müssen aufhören, die Schuld von sich zu weisen und sich hinter nicht angreifbaren Unternehmen, die ihre Hände in unseren Bodenschätzen haben, verstecken.
Der Globale Norden sollte außerdem seinem Versprechen des 100-Milliarden-Klimafonds im Pariser Abkommen nachkommen. Und die Gelder, die in den Fonds für Verluste und Schäden fließen, sollten erhöht werden. Das Geld hilft uns, uns von der Krise und den Schäden zu erholen, die wir nicht verursacht haben.
"100-Milliarden-Klimafonds": Auf der Pariser Klimakonferenz 2015 wurde festgelegt, dass die Industrieländer ab 2020 und zunächst bis 2025 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern mobilisieren.
Fonds für Verluste und Schäden: Wurde auf der Weltklimakonferenz COP27 ins Leben gerufen, um ärmeren Ländern - besonders jenen des Globalen Südens - bei der Reaktion auf klimabedingte Schäden unter die Arme zu greifen.
Was halten Sie von der österreichischen Klimapolitik?
Auch Österreich sollte sich selbst mehr in die Pflicht nehmen, Entwicklungsländern die Hand reichen und damit aufhören, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Politik schiebt die Schuld auch hier auf Konzerne und zieht sich selbst aus der Verantwortung.
Ein Projekt, gegen das Sie lautstark protestieren, ist die geplante, 1.443 Kilometer lange, beheizte "East African Crude Oil Pipeline" des französischen Unternehmens TotalEnergies. Diese soll Öl vom Albertsee in Uganda durch Tansania bis zum Indischen Ozean transportieren. Bis vor einigen Monaten war auch ein österreichisches Unternehmen an ihrem Bau beteiligt. Vonseiten der Projektbetreiber heißt es, die Pipeline würde es Uganda ermöglichen, seine eigenen natürlichen Ressourcen wertschöpfend zu nutzen. Warum soll diese Pipeline Ihrer Ansicht nach nicht gebaut werden?
Weil sie nicht uns bei der Wertschöpfung hilft, sondern für den Konsum des Globalen Nordens gebaut wird, und um sich selbst noch reicher zu machen und Länder wie meines arm zu halten - mit dem Versprechen, uns hier und da Kleinigkeiten davon zu geben. Und man hinterlässt uns die Probleme, die mit der Produktion fossiler Brennstoffe einhergehen: Die Landwirte können auf dem verwendeten Land nicht mehr wirtschaften. Auch Fischer und Touristen gehen leer aus, denn Nationalparks und Wälder sind ebenfalls betroffen. Unsere Rohstoffe sollten tatsächlich unsere Rohstoffe sein dürfen.
Wie kann die Energieversorgung in Afrika auf umweltfreundliche Art und Weise gesichert werden?
Wir nennen Afrika nicht ohne Grund einen „reichen Kontinent“. Wir haben Gewässer für Wasserstoff. Wir haben genug Sonnenlicht, mit dem wir den ganzen Kontinent mit Strom versorgen könnten, wenn wir wollten. Wir haben viel Biomasse. Im Grunde hat Afrika alles, was wir uns unter erneuerbaren Energien vorstellen. Aber wir müssten alle entschlossener sein, unser Geld auch stärker in erneuerbare statt in fossile Energien zu investieren.
Sie setzen sich für Klimagerechtigkeit ein. Wie würde eine klimagerechte Welt für Sie aussehen?
Eine Welt, in der Afrika sich entwickelt und trotzdem zum Übergang zu nachhaltiger Energie beiträgt; in der unsere wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensgrundlagen keine Opportunitätskosten im Kampf gegen den Klimawandel sind. Und eine Welt, in der der Globale Norden die Produktion von fossilen Brennstoffen nicht nach Afrika verlagert, um seinen eigenen hohen Verbrauch aufrechtzuerhalten. Stattdessen sollten wir alle, rund um den Globus, zusammenhalten und den Klimawandel gemeinsam bekämpfen.