Hamburg wählt: Rot-grünes Duell statt Duett
Wahlkampf ist, wenn man bei Schietwetter – steifer Brise und viel Regen – auf der Reeperbahn steht, als würde die Sonne scheinen. Katharina Fegebank kann das ziemlich gut. Die Frau mit dem schwarzen Mantel und grünem Regenschirm will hier in St. Pauli am Markt plastikfrei einkaufen gehen – eine Idee der Marktbetreiber, die die Grünen-Politikerin und derzeit zweite Bürgermeisterin eingeladen haben.
Dass der arabische Nachrichtensender Al Jazeera dabei ist, zeigt, dass diesen Sonntag keine gewöhnliche Bürgerschaftswahl ansteht: Nicht nur, dass mit Fegebank erstmals eine Frau für das erste Amt der Hansestadt kandidiert, sondern zwei Partner, die bisher geräuschlos zusammenarbeiteten, plötzlich Rivalen sind. Und der Kleinere den Großen zu überholen droht, so wie in Hannover, wo nun ein grüner Oberbürgermeister sitzt.
In den TV-Duellen schenkten sich Fegebank, Politikwissenschaftlerin, und der amtierende Bürgermeister Peter Tschentscher, Labormediziner und seit 2011 Finanzsenator, nichts. "Es ist normal, dass man sich aneinander reibt, aber dann wieder professionell am Tisch sitzen kann", sagt sie zum KURIER.
"Thüringen" wirkt nach
Die Chancen, dass sie das wieder tun, sind groß – die anderen zu schwach: Die CDU, die der SPD früher einen Gegenkandidaten stellte, ist in der Oppositionsrolle kaum aufgefallen, auch nicht im Wahlkampf. Die Ereignisse in Thüringen setzen ihr zu. Wahlkämpfer berichten von Anfeindungen. Ebenso in der FDP. Ihre Plakate sind in der Stadt abgerissen oder mit Hitlerbärtchen bekritzelt.
Carl Cevin-Key Coste, Vorsitzender Jungen Liberalen und Kandidat auf Listenplatz fünf, sitzt gerade in der S-Bahn auf dem Weg zu einer Diskussion mit Schülern. Auch intern gab es in den vergangenen Tagen viel zu besprechen. Er versteht die Kritik. Als er am Mittwoch die Nachricht von Kemmerichs Wahl als Pushnachricht aufs Handy bekam, war für ihn klar: Er muss zurücktreten. "Lieber Neuwahlen als in Verantwortung mit den falschen Stimmen." Sein Vorsitzender brauchte zu dieser Antwort etwas länger, die Hamburger FDP bekam den Protest ab. Zirka 1500 Menschen demonstrierten vor der Geschäftsstelle, beschimpften sie als "Faschisten", erzählt Coste. Er wollte bei der Kundgebung zu den Demonstranten sprechen, die Polizei riet ihm davon ab. "Das sagt auch was über den demokratischen Diskurs aus", bekrittelt er.
Überhaupt glaubt er zu wissen, dass reden und debattieren ein Schlüssel ist, auch um wütende oder enttäuschte Wähler zurückzugewinnen. Bei den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen war er als Wahlhelfer unterwegs und musste feststellen, dass die AfD omnipräsent war: Auf Plakaten oder als "Kümmere", die Flohmärkte oder Kinderfeste veranstalteten. Von den Volksparteien war nichts zu sehen. In Hamburg ist da die Lage noch anders, erklärt er. Die SPD nach wie vor strukturstarke Kraft, die mit den Menschen ins Gespräch kommt. Die Rechtspartei ist hingegen mit etwa sechs bis sieben Prozent weit von Ergebnissen wie in Ostdeutschland entfernt.
Und die Liberalen selbst? Schaffen sie trotz Thüringen die Fünf-Prozent-Hürde? Coste ist zuversichtlich. Natürlich könnte er sagen, dass war's jetzt, aber "wir wurden schon vor fünf Jahren für tot erklärt, da waren die Prognosen schlechter und wir haben es trotzdem geschafft". Der 23-Jährige ist 2013 in die Partei eingetreten, da flog sie gerade aus dem Bundestag - "sicher nicht der beste Zeitpunkt, wo Liberale großen Gestaltungsspielraum hatten, da ging es darum, wie wir wieder eine starke liberale Stimme in die Gesellschaft bekommen".
Den Optimismus hat die grüne Kandidatin nicht verloren, obwohl der Regen stärker wird – und die jüngsten Umfragen trotz starker Gewinne nicht für eine Erste Bürgermeisterin sprechen. Die SPD konnte, trotz Ärger um Cum-Ex-Geschäfte, den Abstand zu den Grünen ausbauen.
Dabei hat die Partei – jetzt wo alle anderen was mit Klima machen wollen – ihr Themenfeld erweitert: Hamburg soll als Wissenschaftsstandort ausgebaut werden, leistbares Wohnen möglich sein, sagt Fegebank, die sich als "pragmatische Visionärin" bezeichnet.
Ole von Beust, letzter schwarzer Bürgermeister, der mit Grünen regierte, beschreibt sie gegenüber Zeit online so: Sie ist eine "respektable Frau, die nicht alles durch die grüne Brille sieht". Das kann man als Lob oder Spitze verstehen. Denn Fegebank ist nicht nur eine Frau, die viel lacht, einen an der Hand nimmt, sie spricht aus, was sie denkt. Hier am Markt etwa, dass sie oft zu viel einkauft, es Ärger gibt, wenn sie Lebensmittel wegschmeißen müssen. Oder vor einigen Wochen: Sie schätzt es, im Ferrari ihres Lebensgefährten durch die Gegend zu brausen. Mehr brauchte es nicht, bis die ersten "Doppelmoral" riefen. Wobei sie gegen eine autofreie Innenstadt ist, das funktioniert nicht, erklärte sie kürzlich und erteilte einer Volksinitiative eine Absage. Um den Verkehr zu reduzieren, müsse man Anreize bieten wie günstige Öffi-Tickets für jene, die ihr Auto stehen lassen, sagt sie.
"Soll alles so bleiben"
Gut möglich, dass ihr Einzug ins Rathaus an Pragmatismus scheitert – nicht ihrem, dem der Wähler. Denn hört man sich in der Stadt um, ist nicht viel Veränderungsbedarf zu bemerken. "Soll alles so bleiben", winkt ein Kiosk-Verkäufer im breiten hanseatisch ab. Heiko, der Mann neben ihm, gebürtiger Hamburger, hat ebenfalls nichts zu beanstanden. "Der Tschentscher macht seine Sache gut", er deutet mit dem Kopf zum Rathaus. "Der grüßt einen und kann mit den Leuten, Scholz hatte nie Zeit."
Dabei hatte er es schwer, als Olaf Scholz nach Berlin ging. Manche trauten ihm das Amt nicht zu. Die Welt schrieb von einem "Neustart mit vielen Fragezeichen". "Hat dieser stille, zurückhaltende Mensch genug Kommunikationstalent, um ein erfolgreicher Landesvater zu werden?", fragte die Zeit.
Der 54-Jährige gibt sich nun jedenfalls als einer, der für seine Leute alle Themen bespielen kann – Wirtschaft, Bildung, Klima, Soziales – oder "alles im Blick hat". So lautet sein Slogan. An ihm bzw. seinem Konterfei kommt man in Hamburg nirgends vorbei. Auf Wahlkampfhilfe vom neuen Duo an der Parteispitze, Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans, verzichtete man. Die Erklärung: Alle Termine waren lange im Voraus verplant. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die SPD ist in Hamburg konservativer als anderorts, wo sie vielleicht gar als CDU durchgehen könnte. Und ist stark geprägt durch den "Seeheimer Kreis". Oder, wie es einer am Wahlkampfstand sagt: "Wir waren geschlossen für Olaf Scholz." Selbst, wenn es Katharina Fegebank nicht zur Nummer Eins schafft, wäre es schon kleine eine Sensation: Die SPD würde entgegen dem Trend wieder eine Wahl gewinnen.
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