Hahn will von neuer Regierung Bekenntnis zu Europa

EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP), zuständig für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik.
EU-Kommissar Johannes Hahn ortet "gewisse Aufmerksamkeit und Sorge".

KURIER: Herr Kommissar, die EU-Spitzen machen sich Sorgen wegen einer FPÖ-Regierungsbeteiligung. Auch Sie?

Johannes Hahn: Es gibt eine gewisse Aufmerksamkeit bezüglich Österreich und eine Sorge, aber nicht in der Größenordnung wie bei der Bundespräsidentenwahl.

Wie sehen Sie eine mögliche schwarz-blaue Koalition?

Darüber spekuliere ich nicht. Das Einzige, was ich erwarte, ist, dass jede Koalition in ihrer Regierungsvereinbarung ein klares Bekenntnis zu Europa ablegt und zu einer proaktiven, konstruktiven Mitarbeit in Europa bereit ist.

Wie groß ist die Gefahr der Islamisierung des Westbalkans?

Ich beschäftige mich sehr intensiv damit. Wir haben am Balkan Experten vor Ort, die die Situation analysieren und mit den Behörden kooperieren, um ein Netzwerk an Informationen aufzubauen. Bekämpfung von Radikalisierung und Prävention sind in allen Gesprächen mit den Beitrittskandidaten Teil des Dialogs über Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen. Das Um und Auf ist aber die wirtschaftliche Entwicklung und die Rechtsstaatlichkeit. Wenn Junge keine Perspektive haben, emigrieren sie oder radikalisieren sich. Was die Wirtschaftsentwicklung angeht, sieht man die positive Wirkung des Beitrittsprozesses bereits deutlich. Der Start der Beitrittsverhandlungen mit Serbien löste einen Investitionsboom aus.

Wie stabilisiert die EU Afrika?

Es gibt Migrationspartnerschaften mit Ländern südlich der Sahara (Niger, Nigeria, Äthiopien, Mali, Senegal), um Investitionen zu fördern. Im Falle von Mali und Senegal gibt es erste Erfolge, die Migration aus diesen Ländern ist drastisch zurückgegangen. Mit EU-Geldern werden Garantiefazilitäten für europäische Unternehmen geschaffen. Ein höheres Risiko wird durch Garantien abgefedert.

Sind Sie für Verfahrenszentren?

Wir müssen für die Prüfung aller Optionen offen sein, um zu verhindern, dass sich Menschen, die keine Asyl-Chance haben, auf den Weg nach Europa begeben und dabei ihr Leben riskieren. In Kenntnis meiner Gesprächspartner in Nordafrika zweifle ich, ob sie es zulassen. In Libyen müssen zuerst die politischen Strukturen funktionieren. 95 Prozent der Migranten, die über das Mittelmeer kommen, starten in Libyen.

Beim Oktober-Gipfel geht es um die Türkei. Werden die Beitrittsverhandlungen gestoppt?

Ich würde eine baldige Entscheidung, die größtmögliche Klarheit bringt, begrüßen. Es ist anzunehmen, dass die Staats- und Regierungschefs den Beschluss von 2016 bestätigen, keine weiteren Kapitel zu eröffnen. Ob es offiziell zu einer Suspendierung kommt, kann ich derzeit nicht abschätzen. Ein völliger Abbruch der Beziehungen ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll, denn die Türkei ist ein wichtiger Nachbar. Die Türkei darf nicht mit Erdoğan gleichgesetzt werden. Rund die Hälfte der Bevölkerung hat beim Referendum gegen die von ihm betriebene Verfassungsänderung gestimmt.

Werden die Vorbeitrittshilfen an die Türkei gestoppt?

Es kann eine deutliche Reduzierung bis hin zur Aussetzung geben. Laufende Projekte müssen jedoch zu Ende gebracht werden. Für die Periode 2014 bis 2020 sind 4,4 Milliarden Euro budgetiert. Ausbezahlt wurden bisher rund 260 Millionen Euro, was auch zum Teil an der geringen Absorptionsfähigkeit seitens der Türkei liegt.

Sind Sie für eine Vertiefung der Zollunion?

Eine Vertiefung ist im Interesse Europas, weil die Türkei ein wesentlicher Wirtschaftspartner ist. Betrittsverhandlungen und Wirtschaftsbeziehungen sind zwei paar Schuhe. Die Türkei ist internen und externen Bedrohungen ausgesetzt, eine wirtschaftliche Stabilisierung ist daher ein vitales Interesse Europas.

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