EU-Kommissar Hahn: "Man muss ja kein Jubel-Europäer sein"

EU-Kommissar Johannes Hahn
Warum Österreichs EU-Kommissar dagegen stimmen wird, wenn die EU Atomkraft als "grün" einstuft. Und: ob die heimische Politik lockt.

KURIER: Kurz vor Jahreswechsel hat die EU-Kommission einen Entwurf für eine Liste mit "grünen Investitionsmöglichkeiten" ("Taxonomie") veröffentlicht, wo Atomkraft und Gas als klimafreundliche Optionen für eine Übergangsphase aufscheinen. Ist Atomkraft denn grün?

Johannes Hahn: Wir befinden uns bis Mitte Jänner in einer Konsultationsphase – die Rückmeldung der Experten wird in unseren Entwurf einfließen. Die Mitgliedstaaten können sich mit 2/3-Mehrheit und das EU-Parlament mit einfacher Mehrheit gegen den Vorschlag der Kommission aussprechen. Die Diskussion ist also noch nicht zu Ende, auch wenn die Mehrheit der Mitgliedstaaten kein Problem mit dieser Klassifizierung hat.

Ist eine "grüne Liste", auf der Atomkraft  drauf steht, denn glaubwürdig?

Ich verhehle nicht, dass es hier auch innerhalb der Kommission unterschiedliche Sichtweisen gibt. Aber man muss trennen zwischen der Orientierung für den Kapitalmarkt -  im Sinne von Taxonomie  - und nach welchen Regeln wir EU-Gelder bereitstellen. Und was Letzteres betrifft, so wird kein EU-Geld für den Bau von Atomkraftwerken fließen. Betreffend Taxonomie argumentieren die Befürworter der Kernenergie, dass Atomkraft de facto CO2-frei ist und daher einen nachhaltigen, klimafreundlichen Effekt hat.

Diese Lesart teile ich absolut nicht, aber so wie es derzeit aussieht, leider die Mehrheit der EU-Staaten. Daher könnte Nuklearkraft letzten Endes unter bestimmten Bedingungen als Übergangstechnologie definiert werden. Was wir gegenwärtig auch diskutieren ist, wie lange die Übergangsphase dauern soll.

Werden Sie also dagegen stimmen, wenn in der Kommission entschieden wird, ob Atomkraft als grüne Technologie eingestuft wird?

Ein klares Ja. Denn an meinen Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsbedenken hat sich nichts geändert.

Corona ist noch nicht vorbei. Aber hat die EU zumindest wirtschaftlich gesehen die größten Härten geschafft?

Im Moment sieht es so aus, als ob wir die größten Herausforderungen gut im Griff hätten. Aber ich sage bewusst momentan. Wir stehen erst am Beginn eines Jahres und vieles ist noch schwer abzuschätzen. Aber ich habe großes Vertrauen, dass die Wissenschaft sich schnell auf die neuen Covid-Varianten einstellen und darauf mit adaptierten oder neuen Impfstoffen reagieren wird. Wir haben dies in den Verträgen mit den Pharmafirmen auch explizit festgelegt. Und von der Verfügbarkeit der Geldmittel her sollte es kein Problem sein. Wir haben ja nicht nur den EU-Wiederaufbaufonds, sondern auch die Strukturfonds.

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