Kampf um jedes Haus und jeden Tunnel in Salzstadt Soledar im Osten
Tag 322 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:
Einst lebten hier mehr als 10.000 Menschen, heute verteidigen kleine ukrainische Truppenverbände die längst verlassenen Ruinen, die von Soledar noch übrig sind. Die Kleinstadt im ostukrainischen Donbass ist zum Schauplatz der schwersten Kämpfe seit Beginn des Krieges geworden - das behauptet zumindest das Büro des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij. Als Nachbarort der strategisch bedeutsamen Stadt Bachmut ist Soledar seit Wochen Schauplatz schwerer Artilleriegefechte. Beide Seiten haben schwere Geschütze konzentriert - die Verluste sind verheerend, täglich sollen Hunderte Soldaten auf beiden Seiten ums Leben kommen.
Doch nicht eingenommen
Schon vor zwei Tagen meldete die russische Armeeführung, dass man die Stadt gänzlich unter Kontrolle habe. Kiew dementierte. In den heutigen Morgenstunden blieb die Lage unübersichtlich. Klar scheint nur, dass Russland Einheiten von Fallschirmjägern ins Gefecht geschickt hat, um vom Osten und von Süden ins völlig zerstörte Zentrum der Stadt vorzudringen, in dem sich immer noch letzte Einheiten der Ukrainer verteidigen. Das Zentrum besteht ohnehin nur noch aus Ruinen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow betonte jedoch, dass es in der Region aus russischer Sicht "eine positive Dynamik und Fortschritte" gebe.
Machtkampf hinter den Kulissen
Die widersprüchlichen Aussagen aus Moskau über die tatsächliche Lage in Soledar und Bachmut deuten auch auf einen Machtkampf im Kreml hin. Wladimir Putin hat erst gestern wieder einmal den Kommandanten für den Krieg in der Ukraine ausgetauscht. Der als brutaler Scharmacher bekannte Sergej Surowikin musste abtreten, Russlands Generalstabschef Walerij Gerassimov übernimmt zwischenzeitlich auch die Führung des Krieges. Putin, so spekulieren Kreml-Beobachter, wolle damit auch den Chef der Wagner-Gruppe, Jewgenij Prigoschin, in die Schranken weisen. Prigoschin, dessen massiv verstärktes Söldnerheer inzwischen den Großteil der russischen Operationen in der Ukraine dominiert, hatte ja vor zwei Tagen die Einnahme von Soledar für sich und Wagner beansprucht.
Wie schwierig die Lage ist, bestätigte gegenüber CNN auch ein namentlich nicht genannter ukrainischer Soldat vor Ort: Es werde um jedes Haus gekämpft und einzelne Parteien könnte errungene Stellungen schnell wieder verlieren: "Heute ist es unser Haus und morgen wird es Wagners sein … Niemand wird Ihnen sagen, wie viele Tote und Verwundete es gibt, weil niemand es genau weiß", sagte er. „Niemand kann mit Sicherheit sagen, wer wohin gezogen ist und wer was kontrolliert … Es gibt eine große Grauzone, die jeder zu kontrollieren behauptet“, beschrieb er.
Strategisch wichtige Tunnel
Ein Grund für die besonders heftigen Kämpfe um die Kleinstadt könnten auch die Tunnelanlagen sein, die sich hier befinden. Am Rand von Soledar gibt es stillgelegte Salzminen, da der Salzabbau über Jahrhunderte die wichtigste Einnahmequelle der Stadt war. Diese Tunnel erstrecken sich über Kilometer und reichen auch weit in das derzeit von den Ukrainern kontrollierte Gebiet. Militärische Beobachter vermuten, dass Russland diese Tunnel auch für Angriffe nutzen will. Dort, an den Eingängen zu den Tunneln, fanden in den Morgenstunden jedenfalls besonders heftige Kämpfe statt.
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