Aus dem Fußballstadion ins Internet: Wie rassistische Gewalt in England überkochte
Die da drinnen, die hätten sich Macheten bewaffnet, würden die britische Flagge bespucken - mit ausgestrecktem Mittelfinger: Sie habe das persönlich gesehen, erzählt die aufgebrachte Demonstrantin, die vor dem Holiday Inn am Stadtrand von Rotherham Stellung bezogen hat, der britischen Zeitung "The Guardian". Die da drinnen sind Asylwerber, die die örtliche Verwaltung in dem Hotel untergebracht hat - und die Geschichte von den Macheten und der Flagge, die haben viele der Demonstranten parat. Eifrig geklickt und weitergeleitet hat sich in Sozialen Medien wie X rasant verbreitet. Die eigentliche Quelle der Information, unbekannt.
Ein "Illegaler", der keiner war
Informationen aus unbekannter Quelle, die sich lawinenartig in Sozialen Medien ausbreiten, die standen schon am Anfang der aktuellen Welle gewaltsamer Proteste, die Dutzende Städte in England, aber auch in Nordirland erfasst hat. Ein 17-Jähriger hatte in der Stadt Southport im Nordwesten Englands vor einer Woche einen Tanzkurs für Kinder mit einem Messer gestürmt und dort drei Mädchen ermordet und weitere schwer verletzt. Der Jugendliche ist als Kind von Eltern aus dem afrikanischen Ruanda in Großbritannien geboren, in Sozialen Medien aber verwandelte er sich innerhalb von Stunden in einen "Asylwerber" aus "Syrien", der seit Monaten im Visier der Staatspolizei stehe. Zugleich wurden dort Aufrufe zu Protesten verbreitet, die ebenfalls innerhalb von Stunden losbrachen. Nicht nur in Southport, sondern in zahlreichen englischen Städten versammelten sich Hunderte vor Asylheimen und Moscheen: Steine flogen, bald Brandsätze, Türen wurden eingetreten. Die anrückende Polizei wurde in Straßenschlachten verwickelt, es gab Dutzende Verletzte.
International vernetzt
Dass diese Informationen so schnell verfügbar waren und sich ebenso schnell verbreiten, war kein Zufall. Bekannte englische Rechtsextremisten waren aktiv geworden, vor allem Tommy Robinson, einst Gründer der rechtsradikalen und rassistischen "English Defence League", hatte sein Netzwerk zur Verbreitung genützt. Der heute 41-Jährige hat auch international gute Kontakte, etwa mit Organisatoren des Sturms auf das Kapitol in Washington vor drei Jahren. Laut US-Medien soll Robinson auch Geld von den gleichen Gruppen erhalten haben, die auch die Kapitolstürmer finanzierten. Auch in rechten US-Medien trat Robinson auf, berichtete dort über völlig außer Kontrolle geratene illegale Migration in Großbritannien. Weiter angeheizt wurde die Wut gegen Illegale und vermeintliche islamistische Terroristen durch X-Besitzer Elon Musk persönlich, der schickte Robinsons Falschinformationen an seine Millionen Follower weiter.
Auf die Straße geschickt
Die so gezielt verbreitete Propaganda konzentrierte sich einerseits darauf, die Geschichte vom Illegalen, der zum Terroristen geworden war, breitzutreten, andererseits aber auch. gewaltbereite Demonstranten auf die Straße zu bringen. Auch das gelang innerhalb von Stunden. Dabei wurden nach Erkenntnissen der britischen Polizei gezielt Mitglieder verschiedenster gewaltbereiter Vereinigungen aktiviert, vor allem von Fußball-Hooligans. Hunderte von ihnen, die an den ersten Schauplätzen der Ausschreitungen ganz vorne mit dabei waren, sollen Anreisen von mehreren Stunden hinter sich gebracht haben, hatten also mit den jeweiligen lokalen Ereignissen nichts zu tun. Die "English Defence League" war über Jahrzehnte eng mit den Hooligan-Fans bei vielen Fußballklubs verbunden. Nachdem die Gewalt in und um die Stadien unerträglich geworden war und mehrere englische Klubs auch von internationalen Turnieren wegen ihrer Fans ausgeschlossen wurden, begann die Polizei mit aller Härte gegen die Hooligans vorzugehen. Inzwischen sind sie aus den Fußballstadien weitgehend verschwunden.
Von den Behörden unbeachtet
Umso intensiver aber wurden die Aktivitäten im Internet. Von den Behörden weitgehend unkontrolliert, konzentrierten sich die Vertreter der "Defence League", die Wut in englischen Städten wie Rotherham, oder Bradford, in denen es ungelöste Probleme mit Migration und Integration von Zuwanderern gibt, gezielt lokal anzuheizen. Es sind genau die Gemeinden, in denen die Gewalt jetzt sofort hochkochte. Doch schon zuvor hatte man versucht, jede Gelegenheit zu nützen, um Gewalt auf der Straße anzuzetteln. Demonstrationen gegen Israels Vorgehen im Gaza-Streifen, an denen vor allem britische Muslime teilnahmen, lösten sofort gewaltsame Gegenproteste aus - organisiert und angeführt von Mitgliedern der Defence League. Ein Vertreter der Polizei sprach damals von "bewaffneten Fußball-Randalieren aus ganz England."
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